Wir wählen zwischen Pest und Cholera um ins Königreich Tonga aufzubrechen. Wenn wir früh lossegeln, starten wir am Anfang in ein Tiefdruckgebiet hinein, das uns Starkwind von hinten in der Nähe Neuseelands bescheren wird. Dafür schaffen wir es vielleicht in Tonga anzukommen bevor uns das nächste Tief mit entsprechend starkem Wind gegenan in der Nähe von Tonga überholt. Oder wir starten erst nach dem Durchziehen des ersten Tiefs und es erwischt uns dann das nächste vor Tonga früher mit Gegenwind. Wenn wir zu langsam sind kann uns auch beides blühen. Wir machen etwas, was wir normalerweise nicht machen – wir starten in das Tief hinein weil uns der Wind von hinten wesentlich lieber ist als später von vorne. Die Wellen sollten sich mit 3 Metern Höhe im Wellenschatten Neuseelands vorerst auch in Grenzen halten.
Sabine und Joachim von der SV Atanga und Armin von der SV Wagemut verabschieden uns und bald setzen wir die Segel. Die Vorhersage ist wie immer etwas positiver als dann die Bedingungen tatsächlich sind, aber das kalkulieren wir vorher immer mit ein.
Nachdem wir nach sechs Monaten vom Segeln entwöhnt sind, nehmen wir vorsichtshalber Tabletten gegen Seekrankheit, was diesmal auch tatsächlich notwendig ist. Mit 30 Knoten Wind rauschen wir mit drei Reffs unter dem dunkel bewölkten Taghimmel flott dahin. Nachts ist es mit Bewölkung einfach nur komplett schwarz. Ohne Vorankündigung von einer Sekunde auf die andere bläst es plötzlich mit Böen bis 45 Knoten. Das wäre dann also Sturmstärke. Querfliegendes Seewasser, Wellen wachsen rasch zu Wasserwänden, die von hinten tosend unter dem Boot verschwinden und uns bis 14 Knoten Geschwindigkeit die Wellenberge hinuntersurfen lassen. Bei so viel Wasser in der Luft sind Schibrillen auf dem Schiff keine Schande mehr. Fredl, unser Autopilot keucht uns zu, dass er gleich aufgibt weil er bei der Geschwindigkeit und dem Druck in den Segeln nicht mehr geradeaus fahren kann. Und zwischen zwei Wellenbergen querschlagen möchten wir nun wirklich nicht. Wir konsultieren also die Refftabelle. Solche Bedingungen haben wir schließlich nicht alle Tage. Da steht drin, dass es jetzt Zeit ist, das Großsegel ganz reinzuholen und vorne einfach ein Handtuch aufzuhängen. Das wäre dann gut so und wir würden noch immer mit einem Affenzahn durch die Gegend schießen. Aha. Mit unserem Rollgroß müssen wir zum Einholen des Segels aber gegen den Wind fahren. Dazu müssen wir umdrehen, ohne dass uns eine Wasserwand von der Seite trifft. Wenn es blöd kommt, besteht ab vier Meter Wellenhöhe mit unserer Bootslänge auf Katamaranen Kentergefahr. Also beide Motoren an und knapp hinter dem erstbesten Wellenberg mit etwas Platz dahinter mit vollem Schub in die Gegenrichtung drehen. Jetzt den Autopilot gegen den Wind steuern lassen und Martin rollt das Großsegel ein. Die Genua lassen wir in Handtuchgröße ausgerollt. Nun nochmal zwischen den Wellenbergen umdrehen, damit die Büge wieder Richtung Tonga zeigen. Geschafft. Motoren wieder aus und wir rasen wieder auf Tonga zu. Martin quittiert das Manöver zurück inder trockenen Stube mit: „Pazifik, du wirst doch nicht aufs Herrl schnappen.“ Gut, dass diese Manöver auf unserem Schiff alle einhand funktionieren. So werden wir wenigstens nicht beide nass. Der ganze Spuk war natürlich so nicht vorhergesagt und verschwand nach einer Stunde so rasch wieder, wie er gekommen war. Jetzt geht es wieder weiter mit 30 Knoten Wind. Ist uns lieber so.
















Die Temperaturen sind tief und die Feuchtigkeit ist hoch, sodass wir teilweise ein wenig Kondenswasser mit dem Gesicht im Bett auffangen – Strafverschärfung sozusagen. Dafür wird es täglich um ein Grad wärmer je weiter wir nach Norden kommen. Und so verabschieden wir die Heizung am vierten Tag in die Ferien. Schlaf gut und hoffentlich lange. Nächstes Mal brauchen wir dich wahrscheinlich in Südafrika wieder. Am Folgetag beruhigt sich alles nochmal und zwischendurch segeln wir mit dem neuen Bluewaterrunner direkt vor dem Wind. Der wechselt allerdings oft, sodass wir das Segel so oft aus der Segellast rausholen, setzen, bergen, verstauen, dass es sich schon fast ein wenig wie Sport anfühlt. Wir wollen um jeden Preis vor dem nächsten Tief in Tonga bei einem Bier sitzen und die sintflutartigen Regenfälle in der Hafenkneipe abwettern. Deshalb ist Eile geboten. Einige Nächte sind sternenklar und wie immer ein Wahnsinnsanblick. Man braucht keinen Mond um so weit weg von jeglichem Lichtsmog die finstere Nacht mit Millionen von Sternen zu erleuchten. Einige Nächte sind mit bis zu fünf Squalls durchsetzt. 90 Grad Winddreher für eine Stunde, viel Wind, kein Wind, Kurs ändern, mit Radarunterstützung so gut wie möglich die pechschwarzen Wolken mit den zuckenden Blitzen umfahren. So bleibt man manchmal die halbe Nacht über beschäftigt.
Von den acht Tagen Rock´n´Roll am Ozean nach Tonga können wir nur wenige Tage durchschnaufen. Da wird dann mal kein Eintopf gekocht. Die Mahlzeiten sind wie immer auf längeren Strecken das Highlight des Tages. Da sitzen wir auch einmal zusammen. Vor lauter Schaukelei sind wir ständig müde und froh, die Freiwache im Bett zu verbringen.
Kurzvideo: Segeln nach Tonga
Unseren Wachrhythmus finden wir sehr schnell. Meist schaffen wir es, die Nacht durch zwei zu teilen, sodass wir bis zu sechs Stunden am Stück im Schlaf hüpfen können. Soweit wir gesehen haben, sind wir die einzigen, die schon an diesem Tag direkt nach Tonga Kurs aufgenommen haben. Am nächsten Tag schwärmen die Schiffe laut AIS-Information aus Neuseeland Richtung Fidschi und Tonga aus wie aus einem Bienenstock. Es müssen um die hundert Yachten sein. Direkt sehen tun wir nur das eine oder andere in weiter Entfernung an den Folgetagen. Auch die organisierte Yacht-Rallye von Neuseeland nach Tonga startet einen Tag nach uns. Die zirka 30 Boote finden sich dann alle westlich von uns im Minerva-Riff ein, um dort den ankommenden Trog – sprich das unvermeidbar herannahende nächste schlechte Wetter – abzuwarten. Das Minerva-Riff ist ein Atoll inmitten des Pazifiks, das innen Ankertiefe hat aber deren wellenbrechendes Saumriff ständig unter Wasser ist. Es ist praktisch ein Ankerplatz mitten im Pazifik ohne Land in Sicht. Irgendwie unglaublich. Von der Wettertaktik her diesmal keine schlechte Wahl, denn wir finden uns auf unserem direkten Weg nach Tonga in den letzten 48 Stunden auf einem Am-Wind-Kurs wieder und müssen zudem die letzten Stunden mit Motor und elender Schaukelei gegen den Wind bewältigen. Das Schiff bockt, knarzt und kracht, dass man meinen könnte, das eine oder andere Teil würde sich jeden Moment fliegend verabschieden. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Wir schaffen es trotzdem nach Tongatapu einige Stunden bevor der Trog völlig über uns hereinbricht und sind heilfroh, dass wir es geschafft haben. Die 30 Yachten am Minerva-Riff werden jetzt vor Anker ordentlich durchgeschaukelt und kommen auf jeden Fall nach uns an, womit wir beim Einklarieren in der Hauptstadt Nuku Alofa nicht lange warten müssen. Außerdem schaffen wir es noch freitags. Damit brauchen wir keine Wochenendgebühren zum Einklarieren aufzahlen.
Positiv ist, dass mit den Solarpanelen Strommangel kein Thema mehr ist und das Boot so weit gut funktioniert. Aber es ist trotzdem immer irgendwas. Zum Beispiel passt das neue originale Ersatzlager des Ruderquadranten nicht, sodass Martin es kürzen muss. Bei der vom Rigger vor wenigen Wochen reparierten Genuaschiene bei der Refftrommeleinfassung kommt die neue Schraube lose. Martin entdeckt es und kann es notdürftig reparieren. Im schlimmsten Fall können wir nicht mehr reffen oder die Genua einholen. Das wäre gar nicht super. Martin schreibt dem Rigger das per Mail und schlägt ihm vor, dass er die 250 Euro zurückzahlt, denn solche Schwierigkeiten hatten wir vorher mit der Refftrommel nie. Keine Antwort. Wieder einmal bestätigt sich das geflügelte Wort: „Segeln ist die teuerste Art unbequem zu reisen.“ Anderen ergeht es aber auch nicht besser. Über Funk hören wir ein Gespräch zwischen zwei Yachten mit. Bei der einen ist das Steckschott im Niedergang eingeklemmt und kann bei dem Sauwetter nicht mehr geschlossen werden. Auch schön. Oder: allerlei Geräte fallen aus und der Autopilot funktioniert nicht mehr – ganz wunderbar. Mehrere Tage hindurch 24 Stunden Ruder gehen bei dem Wetter. Hört sich das an als würden wir uns beschweren? Keineswegs, wir möchten einfach möglichst unverzerrt wiedergeben, was wir so alles erleben und fühlen uns nach wie vor glücklich, das erleben zu dürfen. Wir haben es uns schließlich selbst so ausgesucht. Für ein ewiges Blauwasserleben scheinen wir allerdings nicht geschaffen zu sein, da die Strapazen doch auch Spuren hinterlassen. Tolle Erfahrungen und eine gute Schule in allen möglichen Bereichen bietet es aber allemal.










Die Offiziellen kommen nach zwei Stunden Wartezeit am Boot an. Da hier nur Bares Wahres ist, geht Kerstin, obwohl eigentlich vor dem Einklarieren noch nicht erlaubt, auf die Suche nach einem Bankomaten. Die Ladies im ersten Geschäft gegenüber verwechseln rechts und links, womit Kerstin erst einmal fast einen Kilometer in die falsche Richtung läuft. Na gut, sie wollte schon immer mal das Joggen für sich entdecken und erläuft sich den Bankomaten in persönlicher Bestzeit. Die Angaben der Einheimischen lauten: “By Bifiss the crossing is a house with ATM on the left.” Übersetzt heißt das, der Bankomat befindet sich nach dem Restaurant Billfish in einem Häuschen auf der linken Seite. Durch das leuchtende Grün und der kleinen Beschriftung wäre Kerstin fast vorbeigelaufen, im letzten Moment zeichnet sich die Silhouette eines Mannes ab, der etwas in einen Kasten tippt. Volltreffer. Das ist tatsächlich der gesuchte Bankomat. Aufgrund der Verspätung durch den Umweg versucht Kerstin noch vor den Offiziellen da zu sein. Kein Problem, wir befinden uns nun in der Tonga Zeitzone, was so viel heißt wie, dass die Zeit schon kommen wird, wenn sie denn dann da ist. Daher kann Kerstin auch noch schnell SIM-Karten besorgen, was neben Bargeld bei Ankunft in einem neuen Land für uns auch wichtig ist.
Die Offiziellen kommen gemütlich an Bord, natürlich mit schmutzigen Schuhen und in einer Meute, von der man sich fragt, was da wohl wer machen wird. Gastfreundlich aufgenommen erhalten sie Getränke. Jeder braucht Formulare und Bargeld, sodass unseres gleich einmal bei den hohen Temperaturen dahinschmilzt. Trotz Nachfragen kann der Gesundheitsbeamte keinen Beleg über 100 Tonga-Dollar ausstellen, dies ginge erst beim Ausklarieren. Man muss innerhalb von Tonga beim Ankommen und Verlassen jeder der drei Inselgruppen ein- und ausklarieren. Das Ausklarieren machen wir gleich am Tag darauf, weil es in Tongatapu nicht viel zu sehen gibt. Da zahlen wir 120 Tonga-Dollar Wochenendaufschlag für den Zollbeamten und bekommen trotzdem vom Gesundheitsbeamten keine Rechnung mehr. Diskussion führt zu nichts außer zu Unmut und wir akzeptieren die Deppensteuer. Wir zahlen die Gebühren gerne und verstehen, dass die Leute hier von etwas leben müssen aber Korruption unterstützen wir nicht gerne.
Versöhnt werden wir trotz Sturm am Steg im Restaurant, dass wir nicht weit entfernt finden. Essen und Trinken sind nicht nur preiswerter, sondern auch wesentlich vielseitiger als in Neuseeland. Frischer roher marinierter Fisch und Hühnercurry erfreuen unsere Geschmacksnerven und wir realisieren, dass wir in den letzten Wochen die Kulinarik etwas vernachlässigt haben.
Eine schöne Überraschung ist, dass wir die Briten Kate und Bill wieder treffen, mit denen wir gemeinsam eine nette Zeit auf den Marquesas verbracht haben. Da sie keinen Liegeplatz mehr finden können, legen sie an unserem Boot im Päckchen an, was kein Problem ist. Allerdings kommen zu ihnen auch die Offiziellen mit schmutzigen Schuhen und gehen alle über unser Boot. Na ja, man sollte das Boot ohnehin öfter mal putzen. Die Offiziellen tun so, als wären sie noch nie auf einem Boot gewesen und machen Kugelschreiberstriche auf unseren frischlackierten Tisch. Bei Kate und Bill findet sich gleich ein schwarzer Handabdruck auf der Persenning und man muss froh sein, dass sie einen beim Hin- und Herklettern nicht gleich die Relingstützen abreißen. Die Leute hier sind wohlgenährt. Beim Anteil an stark übergewichtigen Menschen rangiert Tonga weltweit an fünfter Stelle.
Nuku Alofa ist die Hauptstadt und Regierungssitz von Tonga. Es gibt einen netten kleinen Königspalast und viele Kirchen. Die Menschen gehen sonntags gerne zur Kirche und singen inbrünstig und schön, dass es nur so durch die ganze Stadt hallt. Leider wurde durch den Vulkanausbruch letztes Jahr und den Zyklon vor einigen Jahren einiges ramponiert und es scheint der Insel schwerzufallen, wieder auf die Beine zu kommen. Der Markt ist gut bestückt und die Lokale werden von fröhlichen Menschen frequentiert. Tonga soll nicht umsonst „Freundschaftsinseln“ genannt worden sein. Die Behausungen der einfachen Menschen bieten das Nötigste. Mit ihrem König scheinen die Einwohner glücklich zu sein und wir treffen auffallend viele Menschen hier, die ursprünglich in Fidschi geboren wurden. Nachdem die ebenfalls zu Tonga gehörende Inselgruppe „Vava U“ im Norden ein weltweites Segelhighlight sein soll, machen wir uns schleunigst auf den Weg dorthin und freuen uns auf kristallklares warmes Wasser, Korallen, Fische und traumhafte Ankerplätze vor Postkarteninseln. Gegen Sonnenuntergang machen wir uns auf den Weg zur nächstgelegenen Haapai Gruppe um von dort weiter nach Vava U zu gelangen.
Hervorragend geschrieben, so witzig und pointiert. Gratuliere. Man reist direkt mit. So ein Höllenritt. Leicht schlecht ist mir jetzt. 😂🤢
Bei uns kommt endlich der Sommer. Zumindest heute ist er da.
Allerhöchsten Respekt und noch viel Spaß da unten. 😘 Renate
Vielen Dank Renate. Ja warum soll nur uns schlecht werden… Aber jetzt wird es besser. Schöne Grüße aus VaVa U. LG