Ua Pou – Abschied von den Marquesas

Da es hier nahezu 12 Stunden pro Tag finster ist und man bei Tageslicht abfahren und ankommen soll, muss man seine Tour entsprechend genau planen. Unser Ankerplatz auf Tahuata ist groß genug um noch im Dunkeln losfahren zu können, insbesondere da wir unsere Fahrt zum Ankerplatz immer aufzeichnen. Wenn wir so rausfahren wie wir reingefahren sind, können wir schon nirgends drüberfahren. Damit können wir die knapp 70 Seemeilen bei Tageslicht genießen.

Wir sind schon sehr gespannt. Der Hauptort Hakahau mit Einkaufsmöglichkeiten und Lokalen soll in einer der schönsten Buchten von Französisch-Polynesien liegen, da es im Hintergrund mehrere steile Bergspitzen zu sehen gibt. Bei unserer Ankunft dämmert der Abend schon ein wenig, die Berge sind wolkenverhangen. Der Ankerplatz ist voll, die meisten Boote haben einen Heckanker ausgebracht, damit sie ruhiger liegen. Nachdem das Ausbringen und Einholen des Heckankers etwas an Mehraufwand bedeutet, den wir jetzt nicht in Kauf nehmen wollen, beschließen wir im etwas ungeschützten äußeren Bereich des Ankerplatzes zu bleiben. Auf dem Katamaran rollt es bei Welle nicht so sehr wie auf einem Einrumpfer und wir sind guter Dinge. Erst einmal wollen wir uns den Ort ansehen. Er besteht nur aus wenigen Straßen, wobei wir gleich an mehreren Sportplätzen, Tennisplätzen, Sporthallen und sogar an einem kleinen Stadion sowie an einem Fitnessstudio vorbeikommen bevor die ersten Häuser auftauchen. Im Hafen sind wir schon einigen Kanufahrern begegnet, die schnell ihre Runden ziehen. Ganz schön sportlich die Bevölkerung hier.

Da das Internet hier kaum funktioniert, hat Kerstin schon im Vorfeld den Ort auf Google Maps angeschaut und Lokale und Geschäfte markiert. Die Straßen sind leer und die im Internet beschriebenen Lokale sind auch nicht einfach zu finden, da keiner ein Schild aufstellt und Gastgärten sich kaum von privaten Gärten unterscheiden. Bei mehrfachem Nachfragen nach einem Lokal erhalten wir immer die Antwort: Geradeaus und dann auf der linken Seite. Wir kommen an der Kirche vorbei und der Kirchenchor probt lautstark für die Ostermesse. Dann treffen wir auf den Supermarkt, der gerade schließt. Die Kassiererin macht uns allerdings noch mal das Licht an und lässt uns in Ruhe alles anschauen. Wir sind begeistert. Eine solche Auswahl haben wir auf den Marquesas noch nicht gesehen. Praktisch am Ende des Dorfes gehen wir nach Anweisung links ab und in einem unscheinbaren Garten am Eck stehen ein paar Tische. Voila! Es ist das gesuchte und jetzt einzig offene Restaurant. Und es ist sogar gut und preiswert und hat gratis Internet, das funktioniert. Alkohol wird keiner ausgeschenkt, die selbstgemachte Limonade ist ohnehin besser. Jetzt sitzen wir schweigend am Tisch, jeder sein Handy vor der Nase um wieder auf den neuesten Stand zu kommen. Fotos von der Familie kommen an und wir können auch wieder Text und Bilder versenden. Die Nachrichten berichten nichts Gutes. Wieder einmal nehmen wir bewusst unser Glück wahr, dass es uns gut geht und wir reisen können.

Die erste Nacht am Ankerplatz fühlt sich an, als würde man im LKW über den Feldweg fahren und wir beschließen in den geschützteren Bereich umzuankern. Gerade geht ein anderes Boot Anker auf, sodass wir den Motor starten und unseren Anker aufholen um ihn gleich wieder klar zum Fallen zu machen. Dann beginnt das Hafenkino. Die beiden Erwachsenen am Boot haben den Anker noch nicht ganz raufgeholt, da der Heckanker geborgen werden muss. Dazu sind die beiden jugendlichen Kinder mit dem Dinghi beim Heckanker und versuchen ihn tauchend ohne Schnorchelmaske aufzuholen. Sie versuchen den Anker in die Richtung ins Dinghi zu zerren, in der er eingegraben wurde. Das funktioniert natürlich nicht, denn dafür ist ja ein Anker da, damit er sich in diese Richtung nicht aufholen lässt sondern hält. Die Eltern sehen gelassen zu. Das Ganze entwickelt sich zum Frühstücksfernsehen für die Yachties, die gespannt sind, wie wohl das Problem gelöst wird. Martin erbarmt sich und wir fahren rückwärts mit Infinity zum Dinghi und lassen uns die Ankerleine geben. An der Winsch befestigt holen wir den Anker innerhalb kurzer Zeit auf und geben ihn den Kindern. Damit können wir dann jetzt endlich auch wieder vor Anker gehen. Wir freuen uns nämlich schon seit einiger Zeit auf den Frühstückskaffee in der Bäckerei. Immerhin haben wir uns den Kaffee jetzt redlich verdient. 

Mit der Schmutzwäsche bewaffnet gehen wir zur Bäckerei, die auch Wäscherei und Autoverleih ist und geben die Wäsche ab, trinken einen Nespresso und genießen Schokocroissants. Dabei lernen wir wieder andere Segler kennen. Alle sitzen mit Laptop und Handy beim WIFI Spot. Pia und Köbi aus der Schweiz plaudern mit uns, tauschen mit uns Neuigkeiten über gemeinsame Bekannte aus. Somit erfahren wir gleich, dass Theres und Claude von der Swiss Lady erst morgen kommen, da der Wind zu stark ist. Eine amerikanische Oyster mit einem älterem Eignerpaar samt erwachsenem Sohn und zwei Crewmitgliedern sind mit der Oyster-Rallye für 15 Monate unterwegs, um die Welt zu umsegeln. Ein ganz schön straffer Zeitplan. Auch sie sind auf der Suche nach einem Lokal mit WIFI und Geschäften. Egal ob Superyacht oder Seelenverkäufer, alle haben ähnliche Ziele, Wünsche und Erfahrungen. Das schafft immer gleich eine gemeinsame Gesprächsbasis auch wenn die Sprachen unterschiedlich sind. 

Wir stocken auch wieder unsere Vorräte auf. Man weiß ja nie, wo man wieder etwas kriegt. Für den Abend reservieren wir einen Tisch in der kleinen und einzigen Pension. Wir werden gleich gefragt, ob wir Fleisch oder Fisch wollen. Also gibt es keine große Speisekarte. Egal, man sitzt auf einem Balkon mit Blick auf das Postkartenmotiv, die dramatischen Bergspitzen, die noch immer wolkenverhangen sind.

Die Wirtin hat ein Foto von der Aussicht ausgedruckt und aufgehängt. Sie selber habe noch nie gesehen, dass die Bergspitzen alle zu sehen sind. Gut, dann brauchen wir nicht darauf zu warten. Nichtsdestotrotz ist die Abendstimmung wunderschön, die Farben spektakulär, das Essen sehr gut. Morgens gehen wir wieder in die Bäckerei. Die Wäsche ist trotz Versprechens natürlich noch nicht fertig, haben wir uns aber eh schon gedacht. 

Die Serviererin in der Bäckerei schaut aus wie ein Mann, eine andere Servicekraft im Nachbarlokal auch und auch eine Kundin ist vom Geschlecht her eindeutig männlich. Was bei uns zuhause befremdlich wirkt, ist hier normal. Diese Männer heißen Mahu. Traditionell wurde in Familien mit vielen Söhnen mindestens einer als Tochter aufgezogen um im Haushalt zu helfen. Entsprechend viele gibt es davon und viele arbeiten in der Gastronomie. Heutzutage suchen sich die Männer selber aus, ob sie als Mann oder Frau leben wollen. Anscheinend haben doch einige den Wunsch als Frau zu leben, andernfalls könnten wir in so einer kleinen Gemeinde nicht gleich drei an einem Tag treffen. 

Bevor es weitergeht, treffen wir noch einmal Theres und Claude zum Kaffee in der Bäckerei. Unser nächstes Ziel ist die Bucht Hakahetau. Dort kommen die beiden gerade her und so erfahren wir gleich das Wichtigste. Die Bucht wird in allen Segelführern gelobt. Auch die beiden sind begeistert. Also machen wir uns auf den Weg mit Einkäufen, Wäsche und geschenkten Pampelmusen nach Hakahetau. Vor dem Wegräumen der Wäsche müssen wir jedes Wäschestück begutachten, ausschütteln und die vorhandenen Larven einer fliegenden Insektenart entfernen. Die Wäsche ist nämlich im Freien getrocknet und besonders die weiße Bettwäsche hat es den Insekten angetan. 

In der neuen Bucht treffen wir auch gleich wieder auf die Oyster mit den Amerikanern. Wir nehmen uns für den Tag die schöne anstrengende Wanderung um die Berge herum vor. Natürlich haben wir keinen Internetempfang, somit müssen wir uns auf die altmodische Art orientieren, das heißt, wir fragen den nächsten Passanten. Das erste Abenteuer ist gleich einmal das Anlanden mit dem Dinghi am Steg. Die heimischen Boote sind alle mit Bojen am Heck festgemacht, weshalb man aufpassen muss, nicht in die Leinen hineinzufahren. Im Zickzack-Kurs fahren wir im Brandungsbereich der Küste mit unserer Mitzi zum Steg. Bei Niedrigwasser ist das Raufklettern und Fixieren des Beiboots nicht einfach, aber mittlerweile sind wir ein eingespieltes Team, sodass wir das unbeschadet meistern. Als erstes treffen wir wieder die Amerikaner, die berichten, dass sie einen Guide mit Auto engagiert haben, ihnen die Insel zu zeigen. Ist natürlich auch eine gute Idee. Wir aber als geborene und gelernte Österreicher wollen gleich wandern. Die Amis nicken beeindruckt und wir ziehen los. 

Die absolute Attraktion dieses Ortes neben der Wanderung ist der Schokomann Manfred. Ein deutscher Auswanderer, der hier lebt und Schokolade produziert. Natürlich freut er sich immer wieder über deutschsprachige Gäste, denen er seine Lebensgeschichte auch gerne in der Muttersprache erzählt. Seinen sehr freizügigen Sprachstil hat er vermutlich aus seiner Zeit als Saunabesitzer in Deutschland mitgebracht. Seine Geschichte könnte auch als Vorbild für die Fernsehserie „die Aussteiger“ gewesen sein. Jedenfalls hat er ein Grundstück erworben an einer Stelle, die immer Wasser führt. Dort hat er sein eigenes Wasserkraftwerk gebaut und produziert seinen eigenen Strom. Haus, Küche und Garten hat er selber gebaut und angelegt. Nun hat er praktisch alle Zutaten für seine Schokolade im Garten.

Der Bergwanderweg ist so angelegt, dass man unweigerlich durch seinen Garten muss. Somit kehrt jeder bei ihm ein und kauft Schokolade. Ein gutes Geschäftsmodell. Damit ist er dann auch bekannt geworden. Vor Corona haben ihn beinahe 2000 Gäste pro Jahr besucht. Verschiedenste Fernsehsender haben ihn für Dokumentationen über die Marquesas interviewt. Anscheinend wird der Rundwanderweg in die andere Richtung gestartet, sodass alle am Ende des Weges bei ihm einkehren. Wir haben aber nicht genau gewusst wohin, damit haben wir nach dem Schokomann gefragt. Den kennt jeder und weiß, wo er zu finden ist. 

Wir brauchen gar nicht in irgendwelche Fitness-Apps schauen um zu wissen, dass wir in den letzten Wochen unsere Beine eher wenig benutzt haben, die Schrittzahl an Bord ist übersichtlich, auch gibt es keine Steigungen. Daher sind wir dann auch froh, dass wir gleich einmal eine Pause bei Manfred machen können. Der meint, dass wir die Schokolade für uns noch nicht mitnehmen müssten. Wir kämen ohnehin wieder auf dem Rückweg bei ihm vorbei. Nachdem wir allerdings den Rundwanderweg machen wollen, nehmen wir unsere kostbare Nervennahrung gleich mit. 

Hinter dem Garten von Manfred hört der schöne Weg auf und wir kommen auf einen schmalen Pfad, der nicht unbedingt für einen Nachmittagsspaziergang gemacht ist, eher so etwas für Besitzer von Macheten. Er ist auch nicht in Serpentinen angelegt, nein, er geht einfach geradeaus auf einem Grat steil nach oben. An den ganz steilen Stellen hat man Seile befestigt, an denen man sich raufziehen kann. Gut, dass wenigstens die Arme an Bord benutzt werden. Somit sind wenigstens die trainiert. Wir fühlen uns bald so, als müssten wir jeden Augenblick oben angekommen sein. Stimmt aber nicht. Es geht immer weiter rauf und rauf. Inzwischen sind wir uns jetzt nicht mehr so sicher, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Dann aber kommen uns die Amerikaner mit ihrem Guide entgegen. Sie sind erleichtert, dass sie uns treffen und wir ihnen sagen können, dass Manfred da ist und sie nun ihrerseits auch glauben, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Vermutlich sind beide Mitte 70 und kommen uns vollkommen erschöpft entgegen. Sie stehen kurz vor der Meuterei und der Guide kann sich schon mal überlegen, wie er die beiden mit dem Hubschrauber aus dem Dschungel holt. Uns schauen sie ganz mitleidig an wegen dem, was wir angeblich noch vor uns haben. Aber wir geben nicht auf, kriegen allerdings eine Ahnung davon, warum Manfred gesagt hat, dass eigentlich fast alle wieder zu ihm zurückkommen. Die meisten kehren um. 

Irgendwann kommen wir tatsächlich oben an. 600 Höhenmeter sind geschafft, wir auch. Jetzt fragen wir uns, wo es wohl wieder runter geht. Manfred sagt: „beim Mangobaum rechts“. Welchen Mangobaum meint er wohl? Ist das ein Mangobaum? Früchte sehen wir keine, Botaniker sind wir auch nicht. Zwei Wege gibt es. Probieren wir erst einmal den, wo es nicht gerade steil nach unten geht. Damit ist dann der mögliche Rückweg nicht so anstrengend. Nachdem wir mit Seil über Felsen klettern und keinen richtigen Weg finden, nehmen wir nach dem Ausschlussverfahren den anderen. Der geht dann teilweise so steil bergab, dass wir rückwärts oder auf allen Vieren gehen, uns an Büscheln von Farnblättern krallen, die im Falle des Falles zumindest theoretisch eine Bremswirkung haben könnten. Allmählich macht uns auch das Fortschreiten der Uhrzeit nach 7 Stunden unterwegs ein wenig Sorgen, denn im Dunkeln kann man hier keinen Schritt tun. Also heißt es, Ärmel hochkrempeln, Zähne zusammenbeißen und weitergehen. Irgendwann kommen wir an einem aufgestauten Bach vorbei. Unser Trinkwasser füllen wir auf und hüpfen beide dankbar in das kühle Nass. Mit frischem Mut und vollen Wasserflaschen machen wir uns wieder auf den Weg. Kurze Zeit später kommen wir zum Trinkwasserreservoire des Dorfes an. Hoppla, da haben wir wohl im Trinkwasser gebadet. Entschuldigung.

Hier beginnt jetzt ein befahrbarer Weg. Damit sind wir praktisch wieder in der Zivilisation der Besitzer von Allradfahrzeugen. Hier sind wohl die Amerikaner losgegangen. Für uns heißt das allerdings noch ein paar Kilometer durchhalten. In der Dämmerung kommen wir dann ins Dorf und hoffen, dass der einzige Wirt geöffnet hat. Trotz der versteckten Lage der Snackbar finden wir sie und sind nur mäßig enttäuscht, dass es nichts zu essen gibt. Immerhin gibt es kaltes Bier. 

Die nächste Bergwanderung werden wir sorgfältiger planen. Jetzt ist das Bergwandern sowieso erst einmal vorbei. Die Tuamotus sind komplett flach, ab jetzt geht es mehr unters Wasser, denn wir sind überm Berg.

Wir laden an Bord den neuen Wetterbericht herunter und wir beschließen, die Abfahrt auf den kommenden Tag vorzuverlegen, da der Wind stetig nachlässt und wir von hier über 400 Seemeilen bis nach Raroïa haben. Wenn es irgendwie geht, möchten wir motorsegeln vermeiden.  

Das erste Kapitel der Südsee, die Marquesas, schließen wir genüsslich und freuen uns auf das, was jetzt kommt. Am Ende fragen wir uns, was uns am besten gefallen hat. Eine der schönsten Buchten ist auch für uns Hanavave auf Fatu-Hiva. Im Gesamtpaket Landschaft, Infrastruktur und Leute gefällt uns Ua-Pou am besten. Wir machen auch wieder schöne Erfahrungen mit Kultur und Sprache und lernen neue Seglerfreunde kennen. Jetzt starten wir ins zweite Kapitel von Französisch Polynesien – auf zu den palmengesäumten Atollen mit den weißen Sandstränden und Korallenriffen – zu den Tuamotus.

Kommentar verfassen