Zurück im Wasser mit Grundsitzer und Sturmwarnung

Endlich haben wir unseren Termin zum Kranen unserer Infinity. Ein Blick auf den Wetterbericht zeigt, dass wir mit unserer Planung Glück haben. Freitags ins Wasser, Sonntag bei einzigem Wetterfenster weit und breit soll es gleich direkt Richtung Bahamas gehen. Aber wie das so ist ändern sich die Dinge sehr schnell. Freitag ist Sturm mit Flutwellen in Deltaville angesagt, wodurch das Kranen auf Montag verschoben wird. Damit ist unser Reiseplan dahin, denn das Wetterfenster auf die Bahamas ist jetzt zu. Aber wir sind Flexibilität gewöhnt, segeln wir eben erst einmal nach Beaufort in North Carolina. Das Wochenende zeigt sich dann noch von seiner schönsten Seite und wir machen einen Ausflug nach Williamsburg. 

Dort ist ein großer Teil der historischen Innenstadt ein Freilichtmuseum aus dem 18. Jahrhundert. Menschen in historischen Kostümen erzählen die Geschichten der einzelnen Gebäude, dazu auch immer den Bezug zum Unabhängigkeitskrieg, der in der Nähe entschieden wurde. Damit wird die Geschichte lebendig. George Washington hält eine Rede, auch Thomas Jefferson kommt zu Wort. Die Darsteller kennen sich gut aus und beantworten jede Frage. Am Ende der Museumsstraße befindet sich natürlich auch ein Areal mit Geschäften und Lokalen. Einkaufen und Essen gehört hier immer dazu. Auch wir setzen uns gemütlich auf einen Kaffee in die Sonne und lauschen einem Akkordeonspieler. Er ist gekleidet wie ein Franzose und spielt nicht nur Wiener Walzer, sondern auch den Ententanz. Wer in der Nähe ist, sollte Williamsburg auf jeden Fall besuchen.

Montag ist der Tag des Kranens. Wir möchten morgens los und bekommen einen frühen Krantermin. Es ist immer wieder spannend wenn Infinity die Elemente von der Erde über die Luft ins Wasser wechselt. Die Slipanlage ist ziemlich knapp bemessen, Fender müssen drinnen bleiben. Damit ist man auf das Können der Mitarbeiter angewiesen. Die machen das hervorragend. Sobald Infinity ihr Element Wasser erreicht hat, gehen wir an Bord um zu prüfen, ob die Luft im Schiff und das Wasser außerhalb bleibt. Alles trocken, wunderbar. Auch die Motoren springen sofort an und der Kühlwasserausstoß ist die reine Freude. Die Toilettenspülung lässt sich nach der langen Pause etwas bitten aber letztendlich funktioniert alles innerhalb kurzer Zeit. Jetzt werden an der Tankstelle die Benzinkanister aufgefüllt und wir frühstücken. Dann werfen wir die Motoren an und los geht es. Allerdings nicht weit. Da wir bei der Einfahrt zur Marina auf Grund gesessen sind, halten wir uns penibel an die spärlich vorhandene Betonnung. Hat trotzdem nicht geholfen. Nach einer halben Meile sitzen wir fest. Das darf nicht wahr sein! Alle Versuche, aus dem Schlamm wieder rauszukommen scheitern. Dazu ist Ebbe und das Wasser soll noch mal 20 cm sinken. Wir gehen unsere Checkliste für Grundsitzer durch und probieren alle möglichen Maßnahmen aus. Zwecklos. Wir sind enttäuscht von unseren navigatorischen Fähigkeiten und die Stimmung ist getrübt.

Die Einfahrt scheint auch seit unserer Ankunft vor einigen Monaten zunehmend zu versanden. Es gibt an den neuralgischen Stellen bloß jeweils eine einzelne Tonne und man kann das Fahrwasser nur erahnen. Über die Marina erfahren wir die Telefonnummer eines Abschleppunternehmens. Das Abschleppboot kommt zu uns. Es schaut aus wie ein kleines Fischerboot, schafft es mit seinem 250 PS Außenborder, uns wieder ins Fahrwasser zu bringen. Der Fahrer erklärt uns dann, dass hier jede Woche mehrere Schiffe stecken bleiben und dass man um die erste Tonne so derartig knapp vorbeifahren muss, dass man sie praktisch abklatschen kann. Ganz im Gegensatz dazu dachten wir, wir wären zu eng daran vorbeigefahren und säßen deswegen auf Grund und haben uns demnach bei den Rettungsversuchen noch weiter auf das Flach manövriert. Im trüben Wasser der Chesapeake Bay hat man keine Sicht auf das was sich unter der Wasseroberfläche befindet. Wir hoffen, dass das Schiff und die Ruder keinen Schaden genommen haben. Strukturelle Schäden sind mit dem weichen Schlamm unwahrscheinlich. Das Ruder fühlt sich so weit in Ordnung an. Schnorchelnd überprüfen werden wir das erst auf den Bahamas können, denn hier ist das Wasser zu trüb und zu kalt. Wir melden den Vorfall auf jeden Fall vorausschauend der Versicherung. Wir denken an das Gemunkel in der Marina vor einigen Wochen wonach die Betonnung der Einfahrt durch das Abschleppunternehmen gesponsert wurde und richten unser Selbstvertrauen wieder auf.

Jetzt aber nichts wie los, sonst kommen wir nach zwei Tagen Fahrt erst im Dunkeln Beaufort an. Laut Wetterbericht haben wir für die 250 Seemeilen anfangs so um die 15 Knoten raumen Wind, langsam soll die Windstärke dann bis 20 Knoten steigen. Ideale Bedingungen. Dieses Mal sind sich alle Wettermodelle einig. Aber es kommt wie es meistens kommt. Bei wenig angesagtem Wind kommt noch weniger, bei mehr Wind kommt immer noch mehr. Am Anfang sind es 5 bis 8 Knoten Wind, wobei wir es mit der Strömung schaffen, die meiste Zeit zu segeln. Irgendwann bei unter 3 Knoten Geschwindigkeit über Grund nimmt Martin die Segel komplett weg und fährt nur noch unter Motor. Das war auch gut so, denn an Cape Hatteras gibt es von einer Sekunde auf die andere mit einem Fingerschnipp plötzlich stetig 30 Knoten Wind. Auch gut, Segel gerefft wieder gesetzt und wir rauschen gen Süden. Unsere Geschwindigkeit von maximal 12 Knoten wird zum großen Teil mit durch die Strömung, den Windwinkel und hin und wieder dem Surf auf der Welle bestimmt. Der letzte Teil als wir um das Cape Lookout biegen wird dann wirklich unangenehm holprig gegen Wind, Welle und Strömung. Und so wird aus dem Schaukeln der Wellen von hinten ein Springen über die Wellen von vorne. Auf einmal qualmt es und das Ladekabel vom iPad ist verschmort. Gut, dass wir wegen des fliegenden Wassers innen direkt daneben sitzen. Ab jetzt kaufen wir nur noch vom Hersteller zertifizierte Ladekabel. Mit der Einfahrt in den Kanal von Beaufort ist es gleich einmal viel ruhiger. Wind und Welle lassen nach und wir suchen wieder das Ankerfeld vom Frühling auf. Im Unterschiede zum Frühling finden sich dieses Mal hier ziemliche viele Yachten ein. Die meisten machen es wohl so wie wir und warten auf das Wetterfenster um auf die Bahamas oder in die Ostkaribik zu segeln. 

Natürlich machen wir uns brav zur Customs and Border Protection (CBP) auf um schon mal aus den USA auszuklarieren. Ist gut für die Motivation und ein erledigter Punkt, der uns nicht mehr länger hier halten kann. Der Lyft-Fahrer kennt den Weg. Es heißt, das Büro sei in einem Motel untergebracht. Das gibt es allerdings nicht mehr. Stattdessen ist hier eine Polyklinik, eine Apotheke und ein Bandagist untergebracht. Irgendwo dazwischen stehen Autos von der CBP. Alle Fenster und Türen sind verspiegelt, einen Hinweis auf das Büro gibt es nicht. Wir bekommen aber einen Tipp von einer Arzthelferin. Sie meint, es ist die zweite oder dritte Türe links. Bingo. Die Vorzeichen stehen nicht gut, das wissen wir. Unsere Cruising Licence ist seit Mai abgelaufen und man kann erst zwei Tage vor Abreise ausklarieren. In den nächsten Tagen ist aber wegen Sturmwarnung an ein Wegkommen nicht zu denken. Wir möchten das Thema trotzdem frühzeitig erledigt wissen, weil wir im schlimmsten Fall mit einigem Ungemach rechnen. Der Beamte, mit dem wir vorher telefoniert haben ist aber sehr nett und verständnisvoll. Interessant ist die unterschiedliche Regelauslegung der verschiedenen Immigration-Officers. Dieser hier meint, wir hätten von Anfang an gar nicht mit ESTA ins Land kommen dürfen. Dieser Meinung waren glücklicherweise alle anderen bisher nicht. Immerhin sind wir einige Male ein- und ausgereist und haben in vielen Monaten die US Virgin Islands, Puerto Rico, Florida, Georgia, South und North Carolina sowie Virginia und Massachusetts besucht und uns überall brav bei Immigration gemeldet wie vorgeschrieben.

Nach ausgiebiger Recherche findet Martin tatsächlich wieder mal einen Propangashändler, der Flaschen auffüllt. Eine chinesische Dame erklärt, dass sie auch europäische Flaschen abfüllen. Halleluja! Ein weiterer Lyft-Fahrer sucht mit uns die angegebene Adresse. Dort befindet sich allerdings nur ein Nagelstudio, ein Propangas-Tank in Haushaltsgröße steht dahinter. Aber hier sind wir richtig. Der Eingang zum Gashändler ist im Nagelstudio. 15 Asiatinnen und Asiaten und ihre Kundschaft schauen uns verdutzt an als wir die Dame am Empfang nach Propangas fragen. Die ganze Situation so surreal, dass die Stimmung sofort steigt und alle belustigt dreinblicken. Eine ältere Dame macht den unverschlossenen Kasten am Propangas-Tank auf und will unsere Flaschen füllen. Dann stellt sie fest, dass der Aufsatz nicht passt. Wir packen unsere von Blauwasserexperten empfohlenen noch original verpackten Adapter aus und stellen fest, dass kein einziger auf unsere Flaschen passt geschweige denn am anderen Ende auf das amerikanische System. Martin kann sich vor Lachen kaum mehr halten. Etwas später kommt jemand zu uns, der den Unterschied zwischen „we can fill“ und „we can not fill“ richtig aussprechen kann. Sein Schwager kenne sich zwar aus aber der könne jetzt keinesfalls kommen. In der gleichen Sekunde biegt ein großer Tankwagen um die Ecke. Dem Asiaten entfährt ein „Oh, da ist er ja!“ Jetzt gibt es kein Halten mehr und wir müssen die ganze Zeit nur mehr kichern. Ein gestandener Amerikaner steigt aus dem Laster und ist guten Willens unsere nicht mehr ganz frischen kroatischen Gasflaschen mit Propan zu füllen. Der Gasmann fragt, wieviel reinpasst und wo man sieht ob sie voll sind. Martin antwortet: „Man merkt, dass sie voll sind sobald 3 kg drin sind.“ Als der Gasmann resigniert die Augen verdreht bricht Martin wieder in Lachen aus. Natürlich kennt der gute Mann nur Gallonen. Das lässt sich zwar leicht umrechnen aber es ist ein aussichtsloses Unterfangen hier eine Gasflasche gefüllt zu bekommen obwohl alle guten Willens sind. Einer der Adapter könnte annähernd passen aber ausprobieren will unser Gasmann das nicht, da das Gas bei minus 80 Grad Fahrenheit gefüllt wird und er schon genug Narben von Erfrierungen an den Armen hat. Somit vertagen wir das Projekt Gas bunkern einmal mehr auf die Bahamas. Der Gasmann verspricht uns, dass er schon häufiger derartige Anfragen hatte und er beim nächsten Mal den passenden Adapter haben wird. Nett sind sie hier wirklich alle. 

Am Abend gönnen wir uns ein Bier in der urigen Seglerkneipe Backstreet Pub. So kommen wir mit einigen Seglern ins Gespräch und sind mit dem Tag wieder versöhnt. Im Anschluss genehmigen wir uns zuhause einen echten Christkindl Glühwein von Aldi USA, da sich die Außentemperaturanzeige hier nur zwischen 10 und 14 Grad bewegt. Wie gut, dass wir uns trotz der geplanten Barfußroute beim Schiffskauf für eine Heizung entschieden haben. Die Wettervorhersage verheißt nichts Gutes. Der angegebene Wind wird mit jeder Aktualisierung stärker, Regenwahrscheinlichkeit 100%. Die Wetterdienste sagen für Sonntag Sturm mit Böen bis 50 Knoten – also ungefähr 90 km/h vorher. Martin ruft daraufhin jede Marina in Beaufort und Morehead City an. Leider gibt es nirgends einen freien Platz. An unserem derzeitigen Ankerplatz können wir wegen der Nachbarlieger nicht noch mehr Kette ausbringen, 18 Meter sind uns bei 5 m Wassertiefe mit Sturm zu wenig. Also fahren wir weiter in den Taylor Creek hinein, der leider hier immer schmäler wird. Wir beschließen mitten im Creek zu ankern und so viel Kette auszubringen wie nur möglich. Beaufort zu verlassen wäre keine gute Idee weil außerhalb der Stadt 6 Meter hohe brechende Wellen vorhergesagt werden was für unser Katamaränchen schon eine sehr sportliche Aufgabe darstellen würde. Immerhin sind wir in guter Gesellschaft mit zirka 30 anderen Schiffen, die im Taylor Creek ankern. Niemand von den anderen Crews macht Anstalten, einen Zweitanker auszubringen oder Verdecke abzumontieren. Das ist uns aber egal. Um uns vor nächtlichen Hauruck-Aktionen bei Starkwind und prasselndem Regen zu bewahren, bringen wir den 25 kg Zweitanker mit Kettenvorlauf und Trosse samt Ankerboje mit dem Beiboot bei Tageslicht aus und montieren vom Schiff alles ab was abzumontieren ist um die Windangriffsfläche zu minimieren. Beide Anker werden mit 2.000 Umdrehungen beider Motoren in erwarteter Windrichtung eingegraben. Was nicht abmontiert wird, wird gesichert. Zwei Ankeralarme werden aktiviert und die GPS-Aufzeichnung zur Aufzeichnung des Schwojkreises aktiviert. Wir holen unsere Schibrillen hervor um im Fall des Falles bei fliegendem Wasser zumindest die Augen aufmachen zu können, auch wenn die Sicht trotzdem nicht sonderlich gut sein wird. Vor uns in Windrichtung liegt kein Ankerlieger, der driften könnte. Hoffen wir, dass alles gut geht. Falls der unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, dass beide Anker slippen, müssen wir mit den Motoren stützen um nicht rückwärts auf den Sandstrand des Taylor Creek zu driften. Zusätzlich müssen wir hoffen, dass keine ungesicherten Kanus oder Gegenstände von Land aus mithilfe des Windes zu Geschossen gegen uns werden. Wir sind jedenfalls gerüstet. Haltet uns die Daumen.

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