Der Beamte zum Ausklarieren aus Vanuatu kann am nächsten Tag mit dem Flieger landen. Wir erwarten ihn gleich am Flughafen, weil er nur 15 Minuten Zeit hat und mit dem gleichen Flugzeug sofort wieder wegfliegt. Der Flughafen besteht aus einer Graspiste mit einem Häuschen ohne Fenster. Jetzt verstehen wir auch, warum man bei regennassem Untergrund hier nicht landen kann. Der Beamte haut die Stempel in die Pässe und auf die vorbereiteten Dokumente. Das Flugzeug wird in der Zwischenzeit mit einer Handpumpe aus einem herangerollten Fass aufgetankt. Die Propellermaschine wartet schon auf ihn als er über die Wiese zum Flugzeug zurückeilt. Wir sind froh, endlich aus Vanuatu ausklariert zu sein und gehen sofort Anker auf, um Richtung Torres Straße aufzubrechen.
Einen Zwischenstopp auf den Louisiaden, die zu Papua-Neuguinea gehören, lassen wir uns nicht nehmen. Genau genommen visieren wir die Ostseite der Calvados Gruppe an. Nach zwei Tagen segeln wie im Bilderbuch mit günstigen leichten Winden und niedrigen Wellen, beginnt es richtig zu blasen und wir rauschen bei zwei bis drei Meter hohen Wellen dahin. Dabei bringen wir es an zwei Tagen hintereinander zu unseren bisherigen Rekordetmalen von 188 Seemeilen in 24 Stunden. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 7,8 Knoten was für unser kleines Schiffchen recht ordentlich ist. Die günstige Strömung hilft mit. Es ginge noch mehr, aber das wäre mit ständigem Aufpassen, Ein- und Ausreffen verbunden was wir uns zu zweit nicht antun. Schließlich müssen wir nebenbei den Haushalt schmeißen. Die Wellen hier haben es in sich. Manchmal bricht eine an unserer Bordwand und spült quer über den zwei Meter hohen Aufbau. Im Schiff hört sich das an wie ein Torpedoeinschlag und man muss schon sehr müde sein, um gut zu schlafen. Aber das ist nach zwei Tagen kein Problem mehr.
Am letzten Tag quetschen wir alles aus unserer Infinity raus und schaffen es mit einem Schnitt von 8 Knoten in den letzten Stunden noch vor Anbruch der Dunkelheit zum geplanten Ankerplatz. In Papua-Neuguinea sind Seekarten eher ein grober Anhaltspunkt, deshalb navigieren wir hier mit Satellitenbildern im Programm „OpenCPN“ auf dem Laptop und noch viel wichtiger: mit Augenlicht. Für die Navigation auf Sicht ist es ideal, bei hochstehender Sonne – also zwischen 10.00 und 15.00 Uhr am besten mit der Sonne im Rücken anzukommen. Leider kann uns der bewölkte Himmel heute nicht mit Sonne dienen aber nachdem der Ankerplatz nicht allzu schwierig anzufahren ist, riskieren wir das Manöver. Schließlich wollen wir nach fünf Tagen und Nächten ein Ankerbier genießen und morgen ausschlafen. Gerade bei der Anfahrt des Ankerplatzes setzt plötzlicher starker Regen ein und die Sicht sinkt auf null. Die Bucht schwindet vor unseren Augen und wir brechen die Anfahrt ab. Nun setzen wir wieder rasch Segel um uns vom Land frei zu segeln bevor es komplett dunkel wird. Plan B wird aktiviert: An die Leeküste des riesigen Calvados-Atolls segeln und dort die Nacht beiliegen um am nächsten Tag bei hoffentlich guter Sicht einen Pass im Norden des Atolls zu nehmen.
Drohnenvideo: Infinity unter Bluewaterrunner
Mit halb gerefftem Großsegel, Traveller in luv und Ruder in Richtung luvwärts angelascht, treibt Infinity mit 1,5 Knoten seitwärts und rollt in den Wellen mit 20 bis 30 Knoten Wind die ganze Nacht gemütlich dahin. Die Dirk ist etwas dicht genommen, damit der Druck aus dem Achterliek des Großsegels entweichen kann. Bei diesem Manöver „Beiliegen“ entstehen Wasserwirbel auf der seitlichen Luvseite des Schiffs, die das Brechen der Wellen vor der luvgewandten Schiffsseite verhindern. Das funktioniert aber nur, wenn man wirklich seitwärts treibt und nicht leicht vorwärts. Um das zu testen, machen wir den Taschentuchtest. Man wirft ein angefeuchtetes (natürlich biologisch abbaubares) Papiertaschentuch auf der Luvseite ins Wasser und beobachtet, ob das Schiff seitlich vom Taschentuch wegdriftet. Nachdem unsere Taschentücher weiß sind, funktioniert das auch bei kompletter Dunkelheit. Die Nachtwache sparen wir uns leider nicht aber immerhin schießen wir nicht mehr durch Nacht, Wind und Welle wie zuletzt und wir schlummern abwechselnd selig.
Leider hat Papua-Neuguinea bezüglich Kriminalität und Piraterie einen schlechten Ruf und wir treffen Vorkehrungen. Vorher haben wir uns im Internet informiert, welche Gebiete zu meiden sind. Fake-Geldbörsen bereiten wir mit etwas Geld und alten Ausweisen für den Fall des Falles zum Hergeben vor. Elektronikschrott wird hergeräumt und die brauchbaren Sachen versteckt. Unser bescheidenes Waffenarsenal liegt griffbereit, wenn auch mehr zur Abschreckung als zum Gebrauch. Alles was im Freien liegt, wird entweder abgesperrt oder sicher verstaut. Vor Anker wird ein Bewegungsmelder mit Alarmton im Cockpit aktiviert und Solarstrahler mit Bewegungsmelder an beiden Aufgängen. Mp3-Hundegebell kann bei Bedarf laut über die Soundanlage draußen abgespielt werden. Im Cockpit liegt eine Leine zur diebischen Entnahme bereit, damit ein Gelegenheitsdieb hoffentlich keine wichtigen Fallen oder Schoten abschneidet, an denen wir und unser Schiff sehr hängen. AIS und Schiffsfunkgerät bleibt hier ebenfalls ausgeschaltet. Nur die kleine Handfunke, die keine MMSI sendet, bleibt an. Für den Fall eines verdächtigen Übergriffs haben wir beide einen Plan, was wer im Fall des Falles macht. Darüberhinaus meiden wir Städte und bevorzugen Inseln und Dörfer, und wir treiben uns nicht im Dunkeln an Land herum. Die Lichterführung am Schiff bei Nacht machen wir in den Louisiaden wie vorgeschrieben. In Piraterie-gefährdeten Landesteilen würden wir ohne Lichter fahren und auch so segeln, dass das Schiff tagsüber weit genug vom Land entfernt ist, damit von dort kein Segel ausgemacht werden kann. Wir fürchten uns keineswegs, aber Vorsicht ist besser als Nachsicht. Vor der Karibik wurden wir auch eindringlich gewarnt, aber es kam nie etwas weg und es ist uns nie etwas passiert. Das einzige was uns auf unserer Reise je gestohlen wurde, war ein Rucksack auf den Kanaren. Und die gehören bekanntlich zur EU. Also nicht mit dem Finger auf andere Länder zeigen.

























Am nächsten Morgen ist die Bewölkung nicht mehr so dicht und wir wagen die Passeinfahrt. Dabei planen wir die Einfahrt bei Niedrigwasser um möglichst wenig Strömung im Pass zu haben. Die Riffkanten sind gut sichtbar und es spült uns mit 2,5 Knoten Strömung ins ruhige Wasser des Atolls. Erleichterung macht sich breit. Jetzt noch 20 Seemeilen bis zum ausgesuchten Ankerplatz. Der Anker fällt mitten in einer wunderschönen Bucht auf 17 Metern Wassertiefe und gräbt sich augenblicklich im Sand ein. Herrlich! Die sanften Hügel sind mit Gras und Bäumen bewachsen und am Ufer wechseln sich weiße Sandstrände und Mangroven ab. Wir sind kaum angekommen, als schon die ersten Einheimischen mit ihren Einbäumen anrudern. Einer paddelt und der andere schöpft. Meist kommt gleich die ganze Familie mit einigen Kindern mit. Einige haben Ameisen in den kleingelockten Haaren. Nach etwas Smalltalk in gebrochenem Englisch beginnen sie, ihre Wünsche zu äußern. Sie möchten tauschen. Wir sind das erste Schiff in dieser Bucht seit drei Jahren! Sie benötigen dringend Medikamente und Kinderkleidung, englische Kinderbücher, Seife, Zahnbürsten, T-Shirts, Stoff, Nähzeug, Angelhaken, Angelleinen, Bootsdichtmittel, Stifte, Papier, Fußbälle, Sportschuhe, Reis, Nudeln, Haarspangen für kaum zu zähmende Lockenpracht und geben im Austausch dafür Langusten, Kokosnüsse, Bananen, Eier, Papayas, getrockneten Fisch und selbst gemachte Halsketten aus Korallen und Muscheln. Dabei warten die meisten Kanubesatzungen respektvoll in 100 Metern Abstand zu Infinity und kommen erst näher, wenn wir winken oder wenn das vorige Kanu uns nach getanem Handel wieder verlässt. Manche kommen von Dörfern aus einer anderen Bucht weit her gepaddelt und warten sogar am nächsten Strand bis wir morgens aufgestanden sind. Ausnahmen bestätigen die Regel: Einmal klopft es auch um 6.30 morgens und wir sind sogleich hellwach. Die Anliegen der Einheimischen verstehen wir nur zu gut und es sind alle willkommen. Wir tauschen alles ein was sie mithaben, egal ob wir es brauchen können oder nicht und versuchen, alles aus unseren Beständen heranzuschaffen was sie benötigen. Immerhin sind wir für viele die einzige Chance, Dinge zu bekommen, die sie sonst kaum kriegen können. Kerstin erklärt sich gerne bereit, am nächsten Tag im Dorf ärztliche Hausbesuche zu machen.
Kurzvideo: Nachtfahrt bei Vollmond
Als wir mit unserem Beiboot Mitzi am weißen Sandstrand des Dorfes ankommen, weiten sich unsere Augen. Einerseits das Paradies wie aus dem Bilderbuch und andererseits fehlt es am Notwendigsten. In Anbetracht der Hütten im Dorf sind die Steinzeit-Freiluftmuseen in unseren Breiten ein Quell an Luxus und Innovation. Sofort folgt uns eine Schar kichernder Kinder. Manche berühren uns an der Hand um zu wissen wie sich weiße Haut anfühlt oder vielleicht, ob die weiße Farbe abgeht. Wir werden zum ersten Hausbesuch begleitet und Kerstin verarztet Wunden und gibt Medikamente für allerlei Krankheiten aus. Husten, Bauchweh, Hautpilz und so weiter. Hier gibt es gepflegte Gärten, es liegt kein Müll herum und die glücklichen Schweine durchpflügen den Sandstrand nach Nahrung. Segel- und Ruderkanus stehen als „Schulbus“ und zum Fischen bereit. Die Auslegersegelkanus sind ungefähr zehn Meter lang und pfeilschnell. Sie sind ausschließlich aus Naturstoffen hergestellt und laufen eine beachtliche Höhe am Wind. Autos, Elektrizität, Mobilfunknetz, Festnetz oder Außenbordmotoren gibt es nicht. Genau so wenig gibt es medizinische Versorgung oder Medikamente. Die Menschen sind freundlich, aber leider lässt die Sprachhürde oft kein langes Gespräch zu. Die Zähne der Erwachsenen sind durchwegs rot vom Kauen der Betelnüsse, die entspannend wirken. Hier gibt es dafür keinen Kava und keinen Alkohol, geraucht wird auch nicht. Jedem Volk seine Droge.
Trotz durchgehend umgebender Hügel auf der Luvseite kachelt es am Ankerplatz mit bis zu 30 Knoten und wir schwojen an unserer 70 Meter ausgebrachten Ankerkette weit hin und her. Platz ist hier kein Problem. Wir müssen derzeit die einzigen Fremden im ganzen riesigen Atoll sein. Es ist heiß. Trotzdem halten wir unsere erfrischenden Schwimmausflüge kurz, da es in der Bucht Krokodile gibt. Laut Einheimischen tun sie nix – wahrscheinlich wollen sie nur spielen. Nach zwei Tagen am Ankerplatz und 30 Kanubesuchen ist unser Obstnetz zum Bersten voll mit Bananen und Kokosnüssen, unsere T-Shirts und Angelhaken neigen sich dem Ende zu. Kugelschreiber und Papier ist aus. Natürlich geben wir auch gerne viele Medikamente, Seife, Reis und andere Dinge her. Auf die Dauer sind die vielen Besuche von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang etwas störend. Mal sehen, ob wir einen windgeschützteren krokodilfreien Ankerplatz mit weniger sozialer Aktivität finden. Geld ausgeben kann man hier kaum. Wir hätten auch keines, denn Bank zum Abheben gibt es weit und breit keine. Auch ernähren wir uns durch die eingetauschten Bio-Lebensmittel sehr gesund und es fällt mittlerweile fast nur mehr organischer Müll an. Ein Ein-Dollar-pro-Tag Leben wäre hier mit den getauschten Lebensmitteln noch möglich. Allerdings kosten die einmal täglich einzunehmenden Malariaprophylaxe-Tabletten zusätzlich 3 Euro pro Stück.

















Die weiteren Ankerplätze im Atoll sind alle sehr malerisch. Überall gibt es kleine Dörfer und die Einheimischen kommen manchmal im Halbstundentakt und möchten tauschen. Viele Sozialkontakte sind gesichert. An manchen Tagen kommen wir vor lauter Besuchen zu nicht viel anderem. Manche möchten gerne Tipps zum Thema Tourismus von uns und wir plaudern. Es ist sicher nicht einfach, die Touristen ohne Elektrizität und mit dem Stigma der hohen Kriminalität und Malaria hierher zu bekommen – auch wenn es auf diesen Inseln keine Kriminalität und laut Einheimischen auch keine Malaria gibt. Und vor allem: Die Krokodile tun ja nix.
Der letzte Ankerplatz bei der Insel Panasia im Nordwesten der Calvados-Gruppe gehört zu unseren Top Ten. Es ist ein kleines Atoll im Atoll, bei der die Panasia-Passeinfahrt im Cormorant-Pass des großen Atolls liegt. Vorsicht ist geboten. Die Strömung im Cormorant-Pass ist immer ausgehend, da der Passatwind das Wasser Richtung Nordwesten drückt. Wir laufen eine Stunde vor Niedrigwasser bei guter Sicht zu Mittag in das Panasia-Atoll ein. Hinter den brechenden Wellen herrscht tiefer Friede. Die Insel ist länglich mit dramatisch steil aufragenden Kalksteinwänden. Dazwischen gibt es einen kleinen malerischen Sandstrand mit einer Hütte. Hier wohnen Gwen und John. John hat die Insel geerbt und er hat sich diesen winzigen Strand für sein Dasein ausgesucht. Die Enkelkinder sind derzeit auch hier auf Besuch, da die Schule auf der Nachbarinsel Utian wegen Wassermangel geschlossen ist. Sofort wird gequatscht und getauscht. John versorgt uns täglich mit frischen Fischen. Die Leute von den Nachbarinseln kommen mit Lobster und Riesenmuscheln angerudert. Alle sind sehr freundlich und nehmen gerne Reis, Zucker, Angelschnüre, Angelhaken, Hosen, T-Shirts, Bootsfarbe, Silikon, Flip-Flops und so weiter entgegen. Angesichts des Wassermangels und der Nöte, die die Menschen hier leiden, nehmen sich die ORF.at Nachrichten, die wir hier über Satellitentelefon empfangen können, zum Teil ein wenig wie Kasperlpost aus: „Strommasten stören Bestäubung von Honigbienen“ oder „Dolly Parton hatte keine Zeit für Tee mit Kate“.











































Wir wollen uns die Kalksteinhöhle auf der Insel ansehen. Nachdem man bei Niedrigwasser nicht mit dem Beiboot auf die andere Seite der Insel kommt, werden wir sogleich auf einen Klettersteig geführt. Es geht auf den Kalksteinwänden steil nach oben, was mit unseren Flip Flops nicht machbar ist. Die Einheimischen klettern mangels Schuhe barfuß auf dem rauen Kalkstein. Wir brechen ab und versuchen es am nächsten Tag mit dem Beiboot. Im Zick-Zack-Kurs rund um Korallenbommies landen wir auf einem weißen Sandstrand mit einem wunderschönen Dorf. John hat diese Seite der Insel seinen Verwandten gegeben. Sie wohnen auf der Insel Utian und haben hier ihre Gemüsegärten. Eine Kleingartensiedlung mit Sandstrand sozusagen. Grant, ein Cousin von John führt uns zur Kalksteinhöhle. „Höhle“ ist jedoch eine Untertreibung. Man steigt durch ein Loch in einen riesigen und tiefen nach oben offenen Krater mit einem kleinen See und mehreren Höhlen, die angeblich unerforscht sind. Ein kathedralenartiger erstaunlicher Ort, den man auf sich wirken lassen muss.
Faszinierend! Erinnert mich sehr an meine Zeit auf Irian Jaya 1995. Schöne Grüße aus Wien. Robert
Hallo Robert. Schön von dir zu hören. Danke. LG