Die zu Neukaledonien gehörenden schönen Loyalitätsinseln sowie die Ile de Pins lassen wir wegen des Windes und der Ausklarierungsregeln aus. Um sie zu besuchen, müssten wir relativ weit gegen den Wind kreuzen und dann wieder nach Noumea zurückkommen um auszuklarieren um dann wieder an den gleichen Inseln vorbei nach Vanuatu zu segeln. Das tun wir uns nicht an. Sehr schade, dass es hier keine Ausnahmen gibt. Nach der Ausklarierungsrallye bei Immigration, Zoll und Hafenkapitän machen wir uns bei günstiger Strömung und günstigem Wind auf nach Tanna in Vanuatu.
Wir fahren bei bedecktem Himmel und achterlichem Wind flott dahin. Plötzlich hören wir neben uns ein tiefes lautes Luftholen. Ein Wal zeigt uns seinen Kopf und seine Schwanzflosse unweit des Bootes. Es ist immer wieder toll, diese Riesen aus der Nähe betrachten zu können. Es dürfte ein jüngerer Buckelwal sein, der sich unser Schiff seinerseits aus der Nähe anschaut. Auch ein zweiter Wal ist dabei. Dann tauchen sie ab und kreuzen unseren Kurs vor unserem Bug.











Nach zwei Tagen schläft der Wind ein und wir müssen noch etwas motoren. Schließlich fällt der Anker in Lenakel, der Hauptstadt der Insel Tanna, die zu Vanuatu gehört. Genauer gesagt fällt der Anker drei Mal, da er bei den Einfahrversuchen nicht hält. Unter uns sehen wir Felsen mit winzigen Sandflecken dazwischen. Immerhin sind wir das einzige Boot und haben im relativ kleinen Hafenbecken Platz, viel Kette zu stecken. Der Schwell lässt unseren Katamaran mächtig rollen. Man hat das Gefühl, unterwegs zu sein. Aber nichts gegen den Einrumpfer „Cracker Jack“ aus Australien, der inzwischen eingetroffen ist. Der Mast gleicht einem Metronom in voller Action. Nachdem der Ankergrund zweifelhaft ist, werden wir wohl nicht alle von Bord gehen können; also macht sich Martin gemeinsam mit einem Teil der Crew des anderen Bootes auf den Weg an Land zum Einklarieren. Das Anlanden auf dem Betonsteg mit dem Dinghi ist durch die hohen Wellen schon abenteuerlich und verursacht bei den Australiern gleich mal seewassernasse Hosen. Es ist Wochenende und wir sollen uns bei der Polizei melden, da das Zollbüro nicht besetzt ist. Wir haben Glück und werden mit dem Auto mitgenommen, da die Polizeistation einige Kilometer weit vom Hafen weg ist. Sie liegt auf dem Hügel mit wunderschönem Blick über die Bucht. Die Aussicht aus dem Büro sei „unreal“ meint der Australier „Nic“, der gerade seine Weltumsegelung gestartet hat. Die Polizisten zeigen sich überrascht, dass sie angeblich zuständig seien und telefonieren mit den anderen Offiziellen. Diese sind auf der Insel unterwegs und werden bald eintreffen. Die Polizisten sind sehr nett und fahren uns wieder zum Steg, wo nach einiger Zeit ein Beamter eintrifft und uns am Markt einklariert. Der Zollbeamte kommt etwas später und meint, dass wir auf die Gesundheitsbehörde nicht warten müssten. Geschafft. Für das Ablegen Richtung eines geschützteren Ankerplatzes ist es mittlerweile zu spät und wir schaukeln uns mit scharf gestelltem Ankeralarm in den Schlaf. Als es dunkel ist, trauen wir unseren Augen kaum. Es nähert sich ein Frachter, der an den schaukeligen Betonsteg will. Wir drehen unser Funkgerät auf um auf Anweisungen zu warten – schließlich ankern wir einigermaßen vor dem Steg. Funkspruch: Fehlanzeige. Im Dorf hatten wir uns zuvor noch vergewissert, dass heute kein Schiff mehr anlegt. Nun kommt es eben anders. Wir starten sämtliche Systeme um notfalls rasch flüchten zu können. Wir würden unserem aufgezeichneten Track hinaus aus dem Riff folgen um dann nicht mehr zurückzukommen und in der Nacht weg zu segeln. Als der etwas improvisiert scheinende Frachter näherkommt, hören wir zu unserem Erstaunen die Arbeiter unter lauter Reggae-Musik auf der Ladefläche lachen. Sie winken uns zu. Der Kapitän dreht fünf Meter hinter unserem Heck den ungefähr 40 Meter langen Frachter mit chirurgischer Genauigkeit und parkt seelenruhig am Steg. Unsere Nerven sind zwar etwas strapaziert aber dieses Manöver verdient Respekt.
Am nächsten Morgen legen wir noch vor dem Frühstück ab um den günstigen Wind rund um Tanna in die geschützte Bucht von Port Resolution zu nutzen. Nichts wie weg von diesem Ankerplatz. Auch die Australier haben den gleichen Gedanken und es entwickelt sich ein kleines Rennen. Wie ging noch das Sprichwort zu diesem Thema: „Ein Segel am Horizont ist entspanntes Segeln und zwei Segel am Horizont sind eine Regatta.“ Wir bemühen uns redlich mit dem Segeltrimm. Die Australier tun es uns gleich. Nic gießt noch Öl ins Feuer und funkt uns an, dass der Verlierer eine Runde Bier zahlen wird. Den Gennaker lassen wir trotzdem unten und retten einen winzigen Vorsprung ins Ziel. Somit ist das abendliche Ankerbier diesmal für uns gratis. Der Ankerplatz ist das genaue Gegenteil von Lenakel. Geschützt, ruhig, wunderschön mit Sandstrand samt Holzauslegerkanus der Einheimischen und der Vulkan „Mount Yasur“ blickt herab. In der Nacht spiegelt sich die glühende Lava in leuchtendem rot in den weißen Wolken. „Unreal“ würde Nic kommentieren. „Unglaublich schön“, sagen wir.
Über Funk wird ausgegeben, dass sich die Crews der ankernden Boote im „Port Resolution Yachtclub“ auf dem Hügel treffen. Nach und nach trifft die bunte Seglergemeinde ein. Dänen, Norweger, Kanadier, Amerikaner, Australier, Neuseeländer, Deutsche und Österreicher. Hier ist „BYOB“ angesagt. Das heißt „bring your own beer“. Denn der Yachtclub stellt sich als überdachte Grasfläche mit ein paar Fahnen heraus. Seit dem letzten Zyklon im März liegt hier einiges im Argen. Das tut der guten Laune der gemischten Runde keinen Abbruch und im Schatten des Vulkans wird gefachsimpelt und gelacht bis spät in die Nacht.
Für den nächsten Tag organisiert Martin einen Transport mit einem Allrad zum Vulkan. Leider erscheint der Fahrer nicht und wir organisieren einen anderen Fahrer für den Tag darauf. Das gibt uns Gelegenheit, im nahegelegenen Dorf vorbeizuschauen. Man tut sich schwer, sein Staunen zu verbergen. Ursprünglicher geht es kaum. Die Häuser im Dorf sind aus Naturstoffen der Insel. Kinder laufen fröhlich mit Hühnern, Schweinen und Hunden herum. Dort und da grast eine Kuh. Autos gibt es genau so wenig wie Straßen oder Strom. Einige Solarpanele haben sich hierher verirrt und spenden spärlich Licht wenn es dunkel wird. Im krassen Gegensatz dazu gibt es in der Bucht vollen LTE-Internet-Empfang! Die Menschen laufen barfuß und sind entsprechend geerdet. Wundervolles Lächeln und ehrliche Freundlichkeit. Angeblich leben in Vanuatu die glücklichsten Menschen der Welt. Wenn man in die Gesichter der Dorfbewohner blickt, entdeckt man keinen Grund das anzuzweifeln. Bezahlte Arbeit gibt es kaum, ebenso wenig gibt es daher Geld. Daher wird getauscht. Der Dorfplatz besteht aus einem Fußballplatz mit zwei selbst gebauten Toren aus Holz. So sollte ein Dorfplatz aussehen. Ein Spielplatz für Menschen und kein Parkplatz für Blechkisten. Der Vulkan hat einige Seitenkamine, die nahe am Meer enden und kochendes Wasser ausspucken. Dort gönnen wir uns ein heißkaltes Bad in den Wellen.
































Am nächsten Tag klappt der Transport zum Vulkan. Wir teilen uns den betagten Pick-up-Truck mit den Australiern und starren schließlich fasziniert in den orange-roten Abgrund. Dort unten brodelt es respekteinflößend und regelmäßig spritzen Lavafontänen hoch hinauf. Man tut gut daran, auf der Luvseite des Kraters zu stehen. Gesichert ist hier nichts. Man muss eben aufpassen. Das Schauspiel nähert sich seinem Höhepunkt als die Dunkelheit über Tanna hereinbricht. Der Farbkontrast des roten Höllenfeuers zur schwarzen Nacht ist atemberaubend. Es ist aber nicht nur der Anblick sondern das tiefe Grollen, das der Berg zu seinen Bewunderern heraufsendet und vor allem die kurzfristige Luftdruckänderung bei den Eruptionen, die einem die Ohren verschlägt als würde man unter Wasser tauchen. Die heraufgeschleuderte Lava bleibt auf den steilen Felswänden liegen und glüht dort weiter. Warme Luftströme föhnen uns von Zeit zu Zeit. Heute ist es regnerisch, deshalb liegt viel Dampf in der Luft. Gut, dass der Wind die Schwaden wegbläst und uns den Blick in die Tiefe ermöglicht. Ein Hauch von Schwefel drängt sich auf. Es riecht als würde der riesige Ofen unaufhörlich faule Eier kochen. Die Heimfahrt ist beinahe ebenso abenteuerlich wie der über und über mit schwarzer Asche bedeckte böse grollende Berg. Zwei Personen müssen draußen auf der Ladefläche auf einem einfachen Holzbalken bei Nieselregen und relativ tiefen Temperaturen sitzen. Die Straße verdient ihren Namen nicht. Unser Fahrer hat alle Hände voll zu tun um den größten Schlaglöchern und Gräben auszuweichen und nur in die kleinen hineinzufallen. Wir müssen uns drinnen mit beiden Händen anhalten um nirgends mit dem Kopf anzuschlagen. Wie sich das auf der Ladefläche anfühlt wollen wir uns gar nicht vorstellen. Die Australier haben sich freundlicherweise dazu bereiterklärt, draußen zu sitzen. Manchmal hat unser schon betagteres Lebensalter auch seine Vorteile. Zu Fuß würde man für die Strecke wohl kaum länger brauchen, so langsam fahren wir.
Kurzvideo: Vulkan Mount Yasur
Am Abend laden wir noch einige Crews ein, um auf Infinity einen Drink einzunehmen. Mit Katamaran ist man wegen dem Platzangebot immer ein begehrtes Partyboot und in der Bucht gibt es im Unterschied zu den meisten anderen Destinationen viele junge Segler. Sie erzählen ihre lustigsten Erlebnisse und „royal fails“. So etwas ist immer ein Garant für Lachtränen.
Nachdem Nina in einigen Tagen wieder heimfliegen muss, machen wir uns bei drei Meter hohen Wellen und 25 Knoten Wind von hinten auf den Weg nach Efate, der Hauptinsel von Vanuatu. Wir sind zwar sehr schnell, werden aber auch ordentlich durchgerüttelt. Wieder dürfen wir Wale sichten und kommen wie geplant nach Sonnenaufgang in Efate an. Später sollten wir erfahren, dass unsere australischen Freunde von der „Cracker Jack“ aus der letzten Bucht hinausgefahren und sofort wieder zurückgekehrt sind, um ein Wetterfenster mit niedrigeren Wellen abzuwarten. Mit dem Einrumpfboot ist die Schaukelei sicher noch einmal eine andere Nummer als mit dem Katamaran.
Unsere Ankerbucht auf der Insel Efate westlich von der Hauptstadt Port Vila erinnert uns ein wenig an die Karibik. Heller Sandstrand, Palmen und hurra: es gibt auch eine gemütliche Beachbar inklusive Pizza vom Holzofen! In diesen Breiten eine Seltenheit. Mit dem Sammeltaxi machen wir uns auf den Weg in die Stadt. Sehr nett mit großem Markt, langer Waterfront-Promenade und viel Grün. Gegenüber liegt eine Insel, die das Auge nicht nur bei Sonnenuntergang erfreut und dazwischen eine Vielzahl ankernder Yachten. Zu allem Überfluss wird gerade die Unabhängigkeit Vanuatus gefeiert – und das gleich für eine ganze Woche. Außerdem gibt es ein nur alle sieben Jahre stattfindendes Kulturfestival mit Programm an mehreren Plätzen. Was für ein Glück. Die Darbietungen kommen aus einigen melanesischen Ländern: Vanuatu, Neukaledonien, Solomonen und Papua Neuguinea. Dabei handelt es sich um Tänze und zugehörigen Trommeldarbietungen von spärlich bekleideten Eingeborenen, die ihre „Tracht“ und ihre Kultur dem begeisterten Publikum näherbringen. Am Abend gibt es heute eine Rede vom französischen Präsidenten Macron und das bei Diplomatenbesuchen dazugehörende Verkehrschaos in der Stadt aufgrund der Straßensperren für den rollenden Präsidententransport. Dem entgehen wir gerade noch und überlassen die Feierlichkeiten in der Nacht den Einheimischen. Das Schnorcheln am Riff der kleinen Insel unweit unseres Ankerplatzes ist lohnend und wir freuen uns auf die Inselrundfahrt mit einem Taxi.


















Im Zusammenhang mit Vanuatu unbedingt erwähnenswert ist der Cargo-Kult und die Sprache Bislama. Der Cargo-Kult entwickelte sich während des zweiten Weltkrieges als die Eingeborenen in Tanna die amerikanischen Soldaten marschieren sahen und im Anschluss daran von den Flugzeugen abgeworfene Pakete empfingen. Die Eingeborenen dachten, die Pakete wären die Belohnung Gottes für das Marschieren und begannen daraufhin, ihrerseits zu exerzieren. Einmal jährlich wird heute noch in Uniformen mit Bambusstöcken statt Gewehren marschiert. Pakete fallen leider immer noch keine vom Himmel.
Bislama ist ungefähr die sympathischste und witzigste Sprache, die man sich vorstellen kann. Wörter aus dem Englischen werden mit melanesischer Grammatik verbunden. Und zwar so wie man sie sagt und nicht wie man sie im britischen Englisch schreiben würde. „Number one“ schreibt man hier „Nambawan“, „outside“ schreibt man „aotsaid“ . Das Wort „blong“ spielt in der Sprache eine zentrale Rolle. Es kommt vom englischen „belong“ und heißt „gehören“, „sein“ und noch so einiges mehr. Eines unserer Lieblingsvokabel ist “Hubschrauber”. Der heißt hier „Mixmaster blong Jesus Christ“.