Atlantik – die große Überfahrt

Jetzt dürfen wir uns in die Gemeinschaft jener einreihen, die den Atlantik auf eigenem Kiel überquert haben. Natürlich maßen wir uns nicht an, uns mit den Abenteurern früherer Zeiten zu vergleichen, denn uns stehen mehr Hilfsmittel sowie auch ein top gewartetes und von Martin täglich kontrolliertes Schiff zur Verfügung. Auch kommt hinzu, dass wir durch Michael ein zusätzliches Crewmitglied haben, wodurch die Wachen weniger anstrengend sind. Mit dem ¾-Wachsystem kommt jeder von uns auf ca. 6 Stunden durchgehenden Nachtschlaf. Martin als Skipper ist zusätzlich immer standby.

Natürlich sind wir voller Erwartungen und Vorfreude als endlich der Starttermin kommt. Obwohl wir nicht bei der ARC mitfahren, starten wir zufällig am 22. November zur gleichen Zeit wie die ARC nach ausführlichem Studium der Wetterberichte. Während unserer Reise lernen wir viele Launen des Atlantiks kennen. Die besonders nächtlich auftretenden Squalls und Gewitter zählen nicht gerade zu unserem Lieblingswetter und führen in erster Linie bei Martin bis zu fünfmal täglich zu Regenduschen, da er Michael und mich beim häufigen Segelwechsel verschonen will. Das Ölzeug bleibt im Schrank, bei Manövern trägt man wegen der warmen Temperaturen nur Rettungsweste, damit die Kleidung nicht nass wird. Zwischendurch packen wir unser Duschgel aus und stellen uns freiwillig in den Regen. Zu dieser Zeit waschen wir unsere erste Wäsche, die von ausgiebigen Regenspülungen frisch und weich wird. Leider dauert das Trocknen mehrere Tage. 

Zu Beginn segeln wir wie auf Schienen dahin, schönstes Segeln wie aus dem Bilderbuch. Wir machen gute Fahrt mit maximalen Etmalen von über 160 Seemeilen. Mit den drei Meter hohen Wellen surfen wir mit maximal 15,2 Knoten Fahrt durchs Wasser Richtung Barbados. Mit der Zeit nimmt der Wind ab – unterbrochen von den Squalls mit Winddrehern und Böen bis 37,5 Knoten. Um Rigg-schonend zu fahren und auch aufgrund der meist vorherrschenden Winde ist unser Autopilot „Fredl“ meist nach Windrichtung eingestellt.  Unser Mitarbeiter des Monats ist eindeutig Fredl, der stoisch jede der unzähligen Wellen aussteuert und ohne Ruhetag im Einsatz ist. Michael hat in sporadisch entlastet, trotzdem hat er praktisch 24 Stunden täglich Dienst. Martin kümmert sich liebevoll um seine Schmierung, sodass er klaglos funktioniert. Tatsächlich bekommen wir sogar einmal auch südwestliche Winde, wodurch wir kurze Zeit sogar am Wind Richtung Karibik fahren. An wenigen Tagen in der Nacht schläft der Wind ein, sodass wir unter Motorfahrt auch gleich die Batterien vollladen können. Unsere größten Energiefresser sind die kleine Gefriereinheit, der Kühlschrank und natürlich benötigt auch Fredl viel Energie als Dauer-Schwerarbeiter. 

Hier draußen gibt es unzählige schöne Facetten – die vielen Farben, Wolken, Sonnenauf- und untergänge begeistern uns täglich aufs Neue. Auch die Nacht hat viel zu bieten. Wenn in der Ferne Wetterleuchten und Gewitter zu sehen sind, die Sterne leuchten, der Mond aufgeht und die Algen fluoreszieren, ist das immer wieder ein Erlebnis. Wir entdecken Sternbilder, lesen Fachbücher und lernen dazu. 

Unser Iridium-Satellitentelefon funktioniert als Verbindung zur Außenwelt. Wir telefonieren mit der Familie und schreiben Emails zum Austausch von Neuigkeiten. Wohlgemerkt sind unsere Neuigkeiten meistens positiver als die von zuhause. Das liegt immer noch an Corona mit all seinen Problemen und Einschränkungen, was uns gottseidank hier nicht betrifft. Obwohl in gewisser Weise stecken wir hier auch im Lockdown auf dem Schiff. PredictWind beliefert uns zweimal täglich mit frischen Wetterdaten, welche im Großen und Ganzen stimmen. Auch haben wir mit Werner ein in Oberösterreich „stationäres“ Crewmitglied, der uns bei Bedarf auch immer wieder mit Informationen versorgt. 


Kurzfilm: Infinity überquert den Atlantik

Obwohl wir zeitgleich mit der ARC starten, sehen wir auf der ganzen Strecke nur ein einziges Schiff der ARC auf dem AIS. Andere Schiffe sind insgesamt Mangelware. Ab und zu streift ein Frachter unsere AIS-Grenze, eine Superyacht ist in der Nacht durch Beleuchtung wie ein Weihnachtsbaum gut am Horizont sichtbar bis sie uns mit 14 Knoten überholt und Richtung Kingstown verschwindet. Irgendwann meldet sich ein englisches Schiff auf Kanal 16, mit der wir einen kurzen Plausch halten. Aber die Verbindung hält nicht lange. Deren Crew segelt nach Antigua und danach um den Globus. Vielleicht treffen wir uns mal persönlich. 

Die Stimmung an Bord ist ausgezeichnet. Ende der ersten Woche haben wir einen kleinen Hänger, als wir realisieren, dass das gerade mal ein Drittel der Strecke ist. Danach wird es besser, wir kochen, haben viel Spaß, hören Musik, plaudern und genießen. Gegen Ende der Strecke lässt der Wind so weit nach, dass wir sogar ein Etmal unter 100 Seemeilen loggen. Gegen Schluss werden die Seemeilen auf unserem Logbuch heruntergezählt. 

Michael braucht geistigen Input, seine Bücher sind aus, sodass er jetzt Tauchen in Theorie, Sternenkunde, Sturmsegeltaktiken und jede Art von Havarien aus unserem Bücherfundus entdeckt. Damit kann er seinen unerschöpflichen Vorrat mit nützlichem und unnützem Wissen erweitern.

Kulinarisch lassen wir es uns außerordentlich gut gehen. Thunfisch als Sushi und gebraten, Chili con Carne, Linseneintopf, Reis- und Nudelgerichte sind ja nicht ganz untypisch für eine Seereise. Allerdings können wir dank Gefriereinheit auch mit anderen Genüssen aufwarten. Ein Schweinsbraten mit Knödel und Kraut kommt genauso auf den Tisch wie echtes Wiener Schnitzel mit Petersilkartoffel und Rindersteak, Krabbencocktail, Kartoffelauflauf und Schweinefilet. Brotbacken und Joghurt herstellen funktioniert noch nicht so gut wie wir uns das vorstellen. Wahrscheinlich sind die Hefe- und Joghurtkulturen durch die Hitze kaputt gegangen. Immerhin hat es hier tagsüber 27 und nachts 24 Grad. Die Frage nach der nächsten Hauptmahlzeit ist überhaupt die Wichtigste des Tages neben dem Segeln. 

Größere Probleme das Boot betreffend sind mit einer Ausnahme nicht zu verzeichnen: Beim Segelsetzen macht es plötzlich Rumms und das Schothorn des Großsegels reißt ab. Wahrscheinlich ist die scharfe Kante der ins Segel eingearbeiteten Blocks die Übeltäterin, die 2 der 3 Gurtbänder durchgescheuert hat, das dritte Band hat sich von der Segelnaht losgerissen. Nach reiflicher Überlegung beschließen wir, die Abrissstelle zu polstern und neue Bänder anzunähen. Mit Begeisterung packe ich meine Handnähmaschine aus, welche extra zum Segelnähen an Bord ist. Leider sind die Nadeln für Segel und Kleber sowie Bänder etwas zu schwach, sodass beide Nadeln brechen und wir mit normalen Nadeln weiterarbeiten müssen. Anfangs hänge ich im Bootsmannsstuhl und flicke das erste Band wieder an das Segel. Allerdings geht mit zunehmender Dauer die Nadel immer schlechter durch, sodass Martin mit der Zange die Nadel immer rausziehen muss. Ab dem zweiten Band übernehmen dann Martin und Michael das Nähen nach vorhergehender Einschulung. Bei ihnen geht es im Stehen und zu zweit schaffen sie es in zwei Sitzungen in einigen Stunden die Bänder anzunähen. Zur Sicherheit wird mit Kleber gestärkt, der in das Bandgewebe eindringt und Martin packt seine Pop-Nietzange aus. In vorgebohrte Löcher bringen Michael und Martin die Nieten an bis unser Groß wieder niet- und nagelfest ist. Auch die Gennakerverankerung am Mastfuß zeigt Verschleißerscheinungen, daher wird diese verstärkt, der Schamfilschutz wird regelmäßig angepasst, die Einkaufsliste um notwendiges Material ergänzt. Die Pins für das Verstellen der Holepunkte der Genua müssen neu eingeklebt werden. Alles Beweise für die enorme Dauerbelastung, die hier knapp drei Wochen auf das Material einwirkt.

Die Tierwelt zeigt sich anfangs zurückhaltend. Michael hat das Glück und wird in seiner Schicht von einer Delfinschule eine zeitlang begleitet. Bis zur Hälfte des Törns begleiten uns Sturmtaucher, dann verschwinden sie als wir in die Flaute kommen. Ist ihnen wahrscheinlich zu langweilig geworden. Fliegende Fische landen versehentlich auf dem Boot. Eine Delfinschule samt dazugehöriger Jungtiere begleitet uns für eine Zeit lang.

Nach dem Ausleeren der Kühltruhe versuchen wir unser Anglerglück, damit wir im Fall eines größeren Fangs den Fisch einfrieren können. Tatsächlich beißt auf Anhieb eine Goldmakrele in einer 3 Personen-Portionsgröße! Sie schmeckt hervorragend und das Leben ist schön. Die anschließenden Angelversuche sind für die Vegetarier gemacht. Sargassokraut schwimmt in größeren Teppichen auf dem Wasser und umwickelt ständig den Köder. Naja, essbar ist es nicht mehr, aber die Spaghetti wollen auch mal wieder verzehrt werden. Kaum haben wir die Angelei aufgegeben, springt ein großer Marlin über die Wellen und zeigt uns seine lange Nase. Eigentlich bin ich froh, dass wir ihn nicht gefangen haben. Vielleicht wird aus mir ja noch ein Vegetarier.

Jetzt kommen wir schon etwas ungeduldig am Ziel an. Als Port of Entry ist lediglich Bridgetown geöffnet. Die Zoll-Abfertigung läuft reibungslos. Wir werden lediglich nach Schusswaffen und Tieren gefragt. Dort müssen wir entgegen jeglicher Logik zusätzlich noch einen Corona-Test nach 19 Tagen auf See machen. Natürlich sind wir gegen ein kleines Entgelt von 150 US-Dollar pro Person negativ. Daher dürfen wir gleich in der naheliegende Bucht ankern. Geschafft!

Kleine Reisestatistik:

  • Gesamtmeilen: 2649 Seemeilen (4768 km)
  • Durchschnittliche Geschwindigkeit: 5,7 Knoten
  • Gesamtdauer: 19 Tage und 9 Stunden

6 Kommentare

  1. Herzlichen Glückwunsch! Freue mich sehr, dass ihr wohlbehalten am anderen Ende des Atlantik angekommen seid. Genießt jetzt mal euren „Landurlaub“. Aber das macht ihr sicher 🙂 Schöne Grüße aus Wien!

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