Samoa – um die halbe Welt

Nach 8 Tagen auf See kommen wir ziemlich erschöpft in Apia, der Hauptstadt von Samoa, an. Fünf Monate in Französisch-Polynesien liegen hinter uns, wobei wir dort immer nur kurze Strecken gefahren sind. Die Gastland-Flagge ist komplett zerfetzt und es wird Zeit, dass jetzt mal eine andere Flagge an unserem Mast weht. Mit unseren kaum mehr vorhandenen Seebeinen nehmen wir am Anfang Vitamin C und es ist uns etwas flau im Magen. Kurze, steile, überkreuzende Wellen schaukeln uns ganz schön durch die Gegend. Aber bald haben wir wieder unseren gewohnten Rhythmus. Es geht auf Neumond zu, damit ist es entsprechend finster, unsere Nachtfahrt-Wollsocken und -Jacken werden hervorgeholt, sodass wir in der Nacht gemütlich draußen sitzen können. Besonders in der Nacht kommen auch immer wieder Squalls, wechselnde Winde mit Regenschauern. Damit müssen wir auch die Segelstellung ändern. Unser Vorwindsegel, der Bluewaterrunner verträgt 20 Knoten wahren Wind von hinten. Darunter können wir gemütlich unter Autopilot vor uns hinsegeln. Leider hat er wohl zu viel Sonne und Dauerbelastung hinter sich, sodass es auf einmal bei 13 Knoten Wind einen Knall gibt und das Segel reißt zweimal durch. Das ist wohl das Ende des Segels. Somit fahren wir mit unserer normalen Besegelung weiter, sind dadurch etwas langsamer und nicht so flexibel mit dem Kurs. Die Steuerung gibt plötzlich komische Geräusche von sich. Ein Lager des Steuers am Ruderquadranten ist zerbröselt und kommt damit gemeinsam mit einem neuen Passatsegel auf die Todo-Liste für Einkauf und Reparaturen. Aber mittlerweile sind wir etwas entspannter bei Problemen. Sie kommen so oder so. Es stellt sich nur die Frage was als nächstes kommt und nicht ob oder wann.

Zwei Dinge können wir feiern. Zum einen haben wir die halbe Welt umrundet. Der östlichste Punkt unserer Reise war Ksamil in Albanien am 20. Längengrad Ost. Von dort sind wir an Kerstins 50. Geburtstag im Juli 2020 gen Westen gesegelt. Am 24. August 2022 überqueren wir den 160. Längengrad West. Damit sind wir jetzt nach 180 Längengraden mit einer halben Weltumsegelung praktisch auf dem Heimweg. Dankbar sind wir in diesem Zusammenhang für die Aufnahme unserer Geschichten in die Webseiten der beiden Seglerlegenden Jimmy Cornell und Bobby Schenk. Der zweite Grund zum Feiern ist, dass wir die Datumsgrenze überschritten haben. Damit fehlt uns ein Tag, der 27. ist nahtlos in den 29. August übergegangen. Somit sind wir der Zeit in Europa plötzlich einmal voraus.

Unser Energiebedarf macht uns ein bisschen zu schaffen. Täglich werfen wir unseren kleinen Benzingenerator an, die Motoren verwenden wir nicht, da wir unter Segel gut weiterkommen.

Samoa gefällt uns schon bei der Einfahrt nach Apia. Die Landschaft ist hügelig und grün bewaldet. Der Ankerplatz vor der Marina ist zumindest am Anfang ruhig. Dann fällt eine Flotte alter, verrosteter und leckender chinesischer Fischerboote in den Hafen ein und lassen Tag und Nacht ihre Generatoren laufen. Schwer zu glauben, dass die Regierung das Leerfischen der heimischen Gewässer mithilfe von Schleppnetzen zulässt.

Martin hat vor unserer Ankunft rechtzeitig alle notwendigen Formulare an die Einreise-Behörden geschickt. So funken wir den Hafen an und kurze Zeit später kommen auch schon die Beamten zum Boot. Zunächst kommt der Gesundheitsbeauftragte und wir dürfen uns selber für einen Antigen-Schnelltest in die Nase bohren. Da die Grenzen in Samoa erst mit dem 1. August geöffnet haben, freuen sich die Menschen hier wirklich über die Segler und andere Touristen. Es wird eine kleine Inspektion im Schiff gemacht. Wir werden für die Sauberkeit unseres Bootes gelobt. Gleichzeitig kommen die Beamten mit nassen und schmutzigen Schuhen an Bord und tragen den Dreck ins Boot. Nichts desto trotz sind sie äußerst freundlich, beantworten unsere Fragen soweit es ihnen möglich ist. In der Marina ist keiner zu erreichen, womit David vom Zoll einige Telefonate führt, damit wir am Dinghi-Steg direkt von Rachael, der freundlichen Yachtagentin, empfangen werden, die uns alles Weitere erklärt.

Hier lernen wir dann auch gleich echte Willkommenskultur kennen. Wir setzen uns direkt ins Restaurant The Edge an der Marina und klären alles mit Rachael. Sie kontaktiert für uns den Segelmacher und sucht auch nach Lösungen für unser Ruderlagerproblem. Wir sind noch gar nicht so richtig angekommen, die kleine Stadt Apia sehen wir derweil nur von der Weite. Weder Bargeld noch Simkarte sind beschafft, aber im Restaurant können wir mit Kreditkarte zahlen. Da es schön langsam Abend wird, beschließen wir, dass alles Weitere bis morgen warten kann. Rachael verabschiedet sich von uns, lädt uns gleichzeitig zum Fischerklub ein, der gleich nebenan ist. Nach Ende der Happy Hour und einem kleinen Snack begeben wir uns in den Fischerklub. Nachdem hier nur bar bezahlt werden kann, wollen wir uns gleich wieder verabschieden. Kurzerhand kriegt jeder von uns ein Bier in die Hand gedrückt und wir werden eingeladen. Noch bevor das erste Bier leer ist, stellt uns schon der Nächste eines vor die Nase. So verbringen wir unseren ersten Abend in toller Atmosphäre mit neuen Freunden. Die Fischer erzählen uns, dass der Fischbestand drastisch zurückgegangen ist. Sie verstehen nicht, warum ihre Regierung den Chinesen erlaubt, alles leer zu fischen.

Vor langer Zeit erzählte uns ein Freund aus Österreich, dass seine Cousine Michaela vor vielen Jahren nach Samoa ausgewandert ist und der Kontakt seit 20 Jahren abgerissen ist. Mittlerweile dürfte sie geheiratet haben und sie ist unter dem Mädchennamen wahrscheinlich kaum aufzutreiben. Natürlich glauben wir nicht daran, dass wir sie unter 200.000 Einwohnern ausfindig machen können, aber solche unmöglichen Aufgaben sind für Martin unwiderstehlich. Fragen kostet ja bekanntlich nichts. Im The Edge fragen wir eine Dame, die sie nicht kennt. Acht Stunden nach unserer Ankunft fragt Martin im Fischerklub den Tischnachbarn, der hier auf der Insel nur eine Michaela kennt und sie sei mit Scott verheiratet, der am nächsten Tisch hinter uns sitzt. Und wirklich, es stellt sich heraus, dass sie die gesuchte Cousine ist. Ein unglaublicher Zufall. Nach nur acht Stunden und zwei Kontakten finden wir die Stecknadel im Heuhaufen. Noch dazu hat Scott eine Metallverarbeitungs-Firma mit Drehbank wo unser Ersatzteil für das Steuerlager hergestellt werden kann.

Am nächsten Tag machen wir uns mit unserer Wäsche auf den Weg. Überall gibt es günstige Taxis. Eines schnappen wir uns und erklären dem Taxifahrer, was wir alles brauchen und wo wir hin müssen. Er bringt uns überall hin und wartet auch auf uns. Leider scheitern wir wieder bei unserer anhaltenden Suche nach einer geeigneten Gasflasche. Der Rest funktioniert erstaunlich einfach. Wo wir in verschiedenen Geschäften anderer Länder zum Erwerb einer Simkarte Stunden verbracht haben, geht man hier in den nächsten Supermarkt, bekommt eine Gratis-Simkarte, die man nur noch aufladen muss und die sofort funktioniert. Was natürlich alles erleichtert, ist, dass die meisten hier verständliches Englisch sprechen. Man kann fast alles kaufen und das meiste kostet weniger als in Französisch-Polynesien.

Mit der Grenzöffnung in Samoa nach 2 ½ Jahren Lockdown kommen jetzt viele Verwandte aus Neuseeland und Australien zu Besuch. Dementsprechend gibt es erst einmal keine Leihautos. Dazu kommt, dass Samoa nächste Woche 60 Jahre Unabhängigkeit von Neuseeland feiert mit entsprechendem Festprogramm. Noch haben wir nicht alles von Apia gesehen und bleiben deshalb erst einmal in der Hauptstadt. Nick von der SV Leni ist auf dem Weg hierher, Inseltouren wollen wir gemeinsam machen. So besuchen wir erst das Museum von Samoa und machen uns etwas über die Geschichte schlau. 

Samoa gilt als die Wiege Polynesiens, da von hier aus die Migration nach Französisch-Polynesien und Hawaii begonnen hat. Das dürfte um 1.000 vor Christus gewesen sein. Die Archäologie steckt noch in den Kinderschuhen, sodass die Präsentationen im Museum eher die letzten beiden Jahrhunderte betrifft. Mitte des 19. Jahrhunderts sind die Missionare gekommen und haben ganze Arbeit geleistet. Mittlerweile sind fast 99 Prozent der Bewohner Christen, wobei sich hier eine Vielfalt an verschiedenen Kirchen angesiedelt hat. Die Hauptstraße besteht fast nur Kirchen, in der Bucht liegt ein Bibelschulschiff vor Anker.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde Polynesien unter Amerikanern und Europäern „aufgeteilt“. Im Vorfeld hat es kriegerische Handlungen gegeben, die durch einen Zyklon beendet wurden. Damals wurde nämlich sowohl die amerikanische als auch die deutsche Kriegsflotte versenkt. Die Deutschen erhielten Westsamoa und die Amerikaner Ostsamoa. Die Engländer wurden mit anderen Inseln getröstet. Kaum zu glauben, wie anmaßend die Kolonialherren sich benommen haben. Aus strategischen Gründen wollte jeder einen Stützpunkt im Südpazifik haben. Mit Beginn des ersten Weltkrieges wurden die Deutschen abgelöst und es fanden verschiedene Besetzungen statt. 1962 wurde Samoa als erster Pazifikstaat unabhängig, nachdem es zuletzt zu Neuseeland gehört hatte.

Vor zirka 10 Jahren hat man beschlossen, dass von nun an Linksverkehr auf der Insel herrschen soll. Das war bestimmt ein interessantes Projekt. Am Stichtag wären wir nicht gerne auf den Straßen unterwegs gewesen. Auch wurde die Datumsgrenze wieder verschoben. 1892 haben die Amerikaner den 4. Juli zweimal hintereinander gefeiert, damit Samoa das gleiche Datum wie USA hat. 2011 hat man zur Verbesserung der Beziehungen zu Neuseeland den 30. Dezember ausfallen lassen, womit nun Samoa der erste Staat der Welt ist, in dem das neue Jahr eingeläutet wird.

Samoa hat wie viele polynesische Staaten mit dem Übergewicht der Einwohner zu kämpfen. Man könnte meinen, hier werden Versuche über die Dehnbarkeit der Haut durchgeführt. Entsprechend groß sind die Portionen in den Restaurants. Durch den mächtigen Körperbau kommen viele gute Rugby-Spieler aus Samoa. Rugby ist hier ein Volkssport. Wrestler gibt es auch viele. Dwayne Johnson ist wohl der bekannteste. Aus dieser Familie stammen mehr als 50 aktive Profiwrestler.

Robert Louis Stevenson lebte seine letzten 4 Lebensjahre in Samoa und verstarb mit nur 44 Jahren vermutlich durch eine Hirnblutung. Er litt unter Tuberkulose und hoffte, dass ihm das Klima vor Ort helfen würde. Dabei handelt es sich um den Schriftsteller, der unter anderem „Die Schatzinsel“ und „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mister Hyde“ schrieb. Hier in Samoa wird er verehrt, da er sich zu seinen Lebzeiten um die Samoaner gekümmert hat. Politische Gefangene hat er mit Lebensmitteln und Getränken versorgt. Obendrein hat er den Kindern Geschichten erzählt und sie gelehrt. Seine halb verfallene Villa wurde durch eine großzügige Spende zweier Amerikaner wieder aufgebaut und in ein Museum verwandelt. Es ist eines der wenigen Häuser aus der Kolonialzeit mit einer wunderschönen Gartenanlage. Im zugehörigen Shop kann man alte Ausgaben von Stevensons Büchern in mehreren Sprachen erwerben.

Am Abend bekommen wir eine Einladung zur Siegerehrung des heute ausgetragenen Anglerwettbewerbs. Es werden haufenweise Mahi Mahi und Gelbflossenthunfische aus den 19 teilnehmenden Angler-Booten ausgeladen. Der schwerste Fisch ist 32,5 kg schwer und die Gäste allen Alters freuen sich mit den Anglern über die von lokalen Unternehmen gesponserten kleinen Preise.

Jetzt freuen wir uns schon auf die Inselrundfahrt.

Ein Kommentar

  1. Liebe Kerstin und Martin,
    gratuliere zu Ihrem Beitrag und alles Gute für Ihren weiteren Törn!
    Ich hatte selbst in meinem Leben zwei Segelyachten…..eine SO44 und eine Formosa 51….leider bin ich nie soooo weit herumgekommen wie Sie …..
    Gerhard

Kommentar verfassen