1.650 Seemeilen in 12 Tagen auf See nach Melilla

Am Morgen unserer Abreise aus Albanien wechselt Martin noch den Simmering der Seewasserpumpe am zweiten Motor. Sicher ist sicher. Da wir ein wenig zu spät wegkommen und der Windbericht ein ungenaues Orakel bleibt, bekommen wir statt geplanten 25 Knoten Wind von hinten 30 von vorne was für Mensch und Arbeitsgerät durchaus anstrengend ist. Es scheint so, als müssten wir uns die Abreise aus der Adria seglerisch hart erarbeiten. Als wir um die kleinen Inseln vor Korfu herum in internationalem Gewässer ankommen haben wir endlich die ersehnte starke Brise von hinten und wir rauschen nur so dahin. Mitunter müssen wir dreifach gereffter Genua und 20 % Großsegel fahren, sind aber trotzdem sauschnell. Bis der Wind an der Stiefelspitze Italiens einschläft und wir einen Motortag einlegen müssen. Sobald sich nur irgendein Hauch von Wind ergibt, segeln wir wieder.

Leider entwickelt sich die Strecke südlich von Sizilien bis Tunesien als Am-Wind Kurs. Die Windvorhersage interpolieren wir folgendermaßen mittlerweile treffsicher: Wenn guter Segelwind angesagt ist, kommt meist wesentlich weniger. Wenn eher viel Wind angesagt ist, kann man 50 – 100 % drauflegen. Die Vorhersage der Welle rechnet man mal 2 bis 4. Wir kreuzen viele hundert Seemeilen gegenan. Nach dem vierten Tag-Nacht-Zyklus sind wir ziemlich geschlaucht. Das harte Einsetzen des Schiffs gegen Wind und zwei bis vier Meter Welle sowie die damit einhergehenden tosenden Geräusche im Schiffsrumpf und die 4-stündigen Wachwechsel samt Segelmanöver können einen schon etwas mürbe machen. Dazu kommt, dass alles klamm ist und durch das Salz nichts mehr richtig trocken wird sowie das Management der Dinge, die kaputt gehen. Das kommt dann meist alles zusammen. Wir haben erst ein Drittel der Strecke hinter uns und der neu von Fachleuten installierte Schlauch der Watermaker-Rückspülleitung explodiert, weil dieser an das Drucksystem angeschlossen wurde – aber dafür nicht tauglich zu sein scheint. Die Motorwärme dehnt das Wasser zusätzlich aus und … plopp. Die Folge davon ist, dass der Bilgepumpenalarm losgeht und die Pumpe das Wasser aus dem Motorraum zu schaffen versucht. Fortan werden wir nach jedem Frischwassergebrauch die Wasserpumpe abstellen um die Leitungen drucklos zu halten und nicht tägliche Überschwemmungen zu generieren. Aufgeben und Tunesien anlaufen? Niemals! Martin kürzt den geplatzten Schlauch, armiert ihn mit Kabelbindern. Zusätzlich wird er mit Gewebeband umwickelt und dann noch mit Alufolie von der aufsteigenden Hitze des Motors isoliert. Gefahr erkannt – Gefahr gebannt.  Die nächste Überraschung lässt nicht lange auf sich warten. Am Steuerbord-Motor tritt Kühlwasser aus.  Also Kühlflüssigkeit nachfüllen und auf Lecksuche gehen. Nach einiger Beobachtung kommen wir zum Schluss, dass der Motor seekrank gewesen sein muss. In der letzten Am-Wind-Nacht nahmen wir wegen Erschöpfung und um Höhe zu gewinnen einen Motor für einige Dutzend Seemeilen zu Hilfe. In den höheren Wellen hat sich der Motor dann mit Kühlflüssigkeit übergeben. Danach kommt das gottseidank nicht mehr vor. An der Nordost-Spitze Tunesiens gab es als Draufgabe noch eine verrückte Nacht dazu. Der Wind schläft plötzlich ein, dreht um 90 Grad, um sofort wieder zuzunehmen. Woher kam er nun? Ja genau: wieder von vorne. Da fragt man sich schon einmal, warum man es sich nicht mit einem Wohnmobil auf dem Landweg bequemer machen soll. Doch tags darauf ist alles vergeben und vergessen, denn der Wind dreht wieder und kommt diesmal stabil von hinten. Genau das was man mit einem Katamaran braucht. Wir schießen mit zum Teil über 10 Knoten in die richtige Richtung – nämlich Westen.

In den Nachtwachen wird natürlich auch der Funk abgehört. Da kommt es manchmal zu unterhaltsamen Minuten, wenn zum Beispiel auf Kanal 16, der für Notfälle reserviert ist plötzlich Opern-Arien von einem gelangweilten Frachtschiffführer übertragen werden oder auch weibliche Orgasmen. Die Nächte sind stockfinster, weil Neumond ist. Beklemmungen bekommen wir, als wir die Flüchtlingsthematik in Nordafrika hautnah mitbekommen. Mehrmals pro Nacht wird von italienischen und spanischen Küstenfunkstellen von teils bemannten und unbemannten unbeleuchteten kleinen Booten gewarnt. Schrecklich, wie verzweifelt diese Menschen sein müssen, um sich auf so einem kleinen Boot in solche Gefahr zu begeben. Der Frachtschiffverkehr ist relativ dicht und gesehen wird man auf einem kleinen unbeleuchteten Boot in finsterer Nacht kaum. In einer Neumond-Nacht an der Nordküste Algeriens müssen wir zu zweit wachen, da es viele nicht verzeichnete beleuchtete „bauliche Strukturen“ auf unserer Route gibt, gleichzeitig am laufenden Band Positionen von Flüchtlingsbooten und über Bord gegangenen Personen über Funk hereinkommen und wir nur mehr ausschließlich nach Radar fahren um diese unbeleuchteten „Geister-Boote“ nicht zu übersehen. Die korrekte Verhaltensweise laut Polizei bei Sichten eines Flüchtlingsbootes ist übrigens: Position über Funk melden und nicht zu nahe kommen, da man sonst Gefahr läuft, selbst Opfer zu werden. Schwer zu sagen wie man sich wirklich verhalten würde wenn man so ein Boot sichtet. Wasser und Medizin zu übergeben wäre wohl das Mindeste was man versuchen würde.

Belohnt werden wir mit regelmäßigen Delfin-Besuchen, die lustig zwischen den Bügen spielen und uns lange begleiten. Belohnt werden wir auch durch das nicht vorhandene Internet. Mit allen Annehmlichkeiten, die es inzwischen unverzichtbar macht, ist es doch einmal entspannend ohne auskommen zu dürfen. Damit es nicht langweilig wird, ist an einem unserer Rückenwind-Tage aus heiterem Himmel bei geöffneten Luken eine Riesenwelle bei uns eingestiegen und hat es sich in der Backbord-Vorderkabine gemütlich gemacht. Genau dort, wo Bettwäsche und Matratzen lagern. Vorher denkt man, das passiert nur anderen, die unachtsam sind. Leider nein. Sobald sich der Seegang beruhigt, hat man das dringende Bedürfnis zu lüften und die Luken, die seit einer Woche verschlossen waren, zu öffnen. Das geht viele Stunden gut und dann kommt sie – die perfekte Welle, die mitfahren will und überraschend aufspringt. Dieser Vorfall beschert uns in den kommenden Tagen viele Arbeitsstunden, da das Zeug auf See kaum trocken zu bekommen ist. Die Weingläser haben sich dank des Wellengangs auch auf ein sehr überschaubares Maß reduziert – so gibt es in Zukunft weniger Abwasch. 


Video-Eindrücke von der Überfahrt

Endlich kommt Melilla, die spanische Enklave und ehemalige Schmugglerhochburg an der Nordküste Marokkos, nach einer Flaute am letzten Tag in Sicht. Von hier sind es nur mehr 130 Seemeilen nach Gibraltar – dem Tor zum Atlantik. Wir sind froh, dass Infinity und wir die Generalprobe mit 12,5 Tagen durchgehend auf See gut überstanden haben. Die Distanz von ca. 1.100 Seemeilen sind durch Kreuzen gegen den Wind zu 1.650 geloggten Seemeilen angewachsen. Am Ende unseres Törns stehen 9 Segeltage bzw. -nächte sowie 3 Motortage bzw. -nächte mit einem durchschnittlichen Tages-Etmal von 132 Seemeilen zu Buche. Damit geben wir uns dieses Mal zufrieden. Man braucht ja noch Raum nach oben für die Zukunft, wo wir hoffentlich 12 Segeltage von 12 Tagen erleben dürfen mit Tages-Etmalen von 200 Seemeilen. Jetzt wird repariert, geputzt und vor allem gefeiert.

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