Schiffskauf und Jungfernfahrt von Infinity – Teil 1 Atlantik

Hier geht es zum zweiten Teil dieses Artikels: Teil 2 Mittelmeer

Weil wir immer wieder gefragt werden, warum wir uns für einen Katamaran entschieden haben und wie wir das finanziert haben, findet ihr den Nachtrag zu diesen Themen und zu unserer abenteuerlichen Reise 2018 von Frankreich durch die Biskaya und Gibraltar nach Kroatien ins Mittelmeer. Über 2.700 Seemeilen innerhalb von 5 Wochen mit 6 mehrtägigen Zwischenstopps. Die reine Fahrzeit betrug ca. 21 Tage und Nächte, die wir uns im 4-Stunden Wachrhythmus aufteilten.

2017 entscheiden wir uns dafür, ein Segelboot zu kaufen, um damit irgendwann unseren Traum wahrzumachen und um die Welt zu segeln. Nach langem Abwägen fällt unsere Wahl auf einen Katamaran wegen der besseren Lebensqualität denn beim Blauwassersegeln wohnt man mehr als man unterwegs ist. Die Hauptgründe sind: Mahlzeiten zu sich nehmen wie ein Mensch und nicht wie ein Jongleur, kaum Krängung, man wohnt nicht im Keller sondern im Erdgeschoß, viel Platz. Außerdem wollen wir uns auf die Barfußroute in die Passatwinde begeben, wo der Wind meist von hinten kommt und selten in Sturmstärke bläst. Deshalb haben wir auch hinsichtlich Seetüchtigkeit keine Bedenken. Wir haben die Wahl nicht bereut, im Gegenteil. Mittlerweile sind geschätzte 50 Prozent der Schiffe auf den Ankerplätzen rund um die Welt Katamarane. In den Breiten, in denen wir unterwegs sind, gestehen uns viele Einrumpf-Blauwassersegler, dass sie mit ihren bisher gesammelten Erfahrungen ebenfalls einen Katamaran kaufen würden wenn sie noch einmal die Wahl hätten.  

Unsere Wahl fällt auf die Lucia 40 von Fountaine Pajot wegen des zeitgemäßen Designs und des Preises. Bei der Finanzierung entscheiden wir uns für einen Charterkauf über die Charterfirma Pitter. Pitter genießt einen hervorragenden Ruf und Charterunternehmen müssen nicht wie Vertriebsunternehmen ihr Geld mit dem Verkauf des Schiffes verdienen, was sich beim weitergegebenen Rabatt im Kaufpreis widerspiegelt.  Das Modell funktioniert so, dass man der Firma eine Hypothek in Höhe des Schiffskaufpreises gewährt. Das Schiff wird von der Charterfirma so lange an Dritte vermietet wie man möchte. Selber kann man es natürlich zu einem vergünstigten Preis ebenfalls chartern und das Schiff besser kennenlernen. Wartung, Reinigung, Marketing, Liegeplatz, Reparaturen und so weiter übernimmt die Charterfirma. Durch die gewerbliche Nutzung in der Charterfirma fällt keine Mehrwertsteuer für den Schiffskauf an. Der Gewinn wird in Form von Kreditrückzahlungen jährlich an uns ausgeschüttet. Die Kreditrückzahlungen sind steuerfrei. Eventuell vereinbarte Zinsen würden mit der Kapitalertragssteuer versteuert. Sobald man das Schiff aus dem Charterbetrieb herausnimmt, verbleibt die Differenz zwischen Kaufpreis und den bisher geleisteten Kreditrückzahlungen bei der Charterfirma. Wenn man das Schiff dann als Privatperson anmeldet, kann man entweder vom jeweiligen Zeitwert Mehrwertsteuer zahlen oder das Schiff binnen 24 Stunden aus der EU exportieren. Dann fällt die Mehrwertsteuer erst an, sobald man später irgendwann in einem EU-Land mit dem Schiff anlegt. Die Höhe der Mehrwertsteuer richtet sich auch dann nach dem jeweiligen Zeitwert und man kann sich ein EU-Land mit entsprechendem Steuersatz aussuchen. In Kroatien beträgt die Mehrwertsteuer zum Beispiel 25 Prozent und auf den Azoren 15 Prozent. Wir entscheiden uns für die Export-Variante nachdem wir ja erstmal aus Europa wegsegeln. Wenn man mit dem Schiff nach Europa zurückkommt ist der Zeitwert geringer und die zu entrichtende Mehrwertsteuer ebenfalls. Wir sind mit diesem Modell sehr gut gefahren und könnten unser Schiff derzeit in Neuseeland oder Australien mit Gewinn verkaufen, da es gut gewartet und voll funktionstüchtig ist. Außerdem kommt uns entgegen, dass die Katamaranpreise in letzter Zeit sehr gestiegen sind und die Firmen mit der Produktion kaum nachkommen. Weiters müssten für europäische Schiffe in diesem Teil der Welt hohe Lieferkosten gezahlt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass man mit einem neuen Schiff nicht direkt auf große Fahrt gehen sollte, weil die Schwachstellen erst ausgemerzt werden müssen. Und beim Schwachstellen finden sind Chartergäste einfach unschlagbar. 

Wir sparen unseren Urlaub über Jahre auf und sehnen den Tag herbei, an dem wir Infinity aus La Rochelle an der französischen Atlantikküste selber nach Trogir in Kroatien überstellen. Wie es halt so ist, gibt es auch bei Schiffen Lieferverzögerungen. Schließlich kommt der Tag, an dem wir nach La Rochelle fliegen. Wie gut, dass Pitter alles Notwendige inklusive Geschirr, Bettwäsche, Rettungswesten, Werkzeug und so weiter mit DHL nach La Rochelle geschickt hat, sodass unser Fluggepäck handlich bleibt.

Nach einer kleinen Odyssee mit dem Auto zum Bahnhof, mit dem Zug zum Flieger, damit zum Flughafen Charles de Gaulle in Paris, mit dem Bus zum nächsten Flughafen und schließlich mit dem nächsten Flieger nach La Rochelle. Ein Taxi bringt uns vollkommen erledigt zur Marina an den Auslieferungssteg. Es wartet kein Mitarbeiter von Fountaine Pajot, kein Strauß Blumen, nichts. Wir erfahren durch Nachfragen, dass unser Boot jenes mit der Baunummer 153 sei. Die Baunummern sind am Steg bei den Schiffen angebracht und es stehen jede Menge neue Schiffe hier. Also begeben wir uns auf die Suche und finden unsere Nummer 153 inmitten der vielen Boote und bringen schon einmal unser Gepäck an Bord. Die Polster für die Sitzmöbel sind in Plastik eingepackt und drinnen aufgestapelt, unser Paket ist nicht da. Das Schiff riecht neu und scharf nach Epoxidharz. Wir freuen uns trotzdem. Fairerweise müssen wir dazu sagen, dass es sich um einen Kaufvertrag zwischen Unternehmen handelt, und deshalb die Übergabe wahrscheinlich etwas unromantischer abläuft als beim Kauf durch Privatpersonen. 

Martin fragt gleich bei der französischen Firma vor Ort nach, die die Übergabe seitens der Werft übernommen hat und die auch der Empfänger unseres Paketes ist. Außerdem stellt die Firma zwei Überstellungsskipper, die mit uns bis Gibraltar fahren, damit wir das Schiff besser kennenlernen. Schließlich wollen wir zwei Grünschnäbel nicht gleich mit einem uns noch fremden Boot alleine durch die Biskaya, rund um die iberische Halbinsel im Atlantik inklusive zugehöriger Nachtfahrten fahren. Man weiß ja, dass am Anfang meist noch Mängel repariert werden müssen. Jetzt der erste Schock. Die Firma erklärt uns, dass kein Paket aus Kroatien angekommen sei. DHL hat das Paket irgendwo verschwinden lassen. Nutzt nichts, wir haben keine Decken, kein Geschirr, keine Rettungswesten, kein Werkzeug, nichts. Es ist wie es ist und wir machen das Beste daraus. Immerhin haben wir im Vorfeld ein dreitägiges Training mit einem Skipper von Fountaine Pajot gebucht, der sich mit dem Boot sicher hervorragend auskennt. Pierre kommt pünktlich zum Boot und wir klagen ihm unser Leid. Er nimmt das ganz locker und meint, dass das immer so wäre. Also nutzen wir unseren ersten Trainingstag zu einem Großeinkauf in einem gigantischen Carrefour-Supermarkt. Mit zwei Einkaufswägen bewaffnet, gehen wir durch jede Regalreihe um die fehlenden Dinge und Lebensmittel zu kaufen. Bei der Auswahl der französischen Köstlichkeiten werden wir von Pierre beraten und kaufen unter anderem seine Lieblingskäsesorten ein. Schließlich werden wir an Bord für die nächsten zwei Tage auch gemeinsam essen. Wir sind dankbar, dass Pierre als Taxifahrer fungiert. Leider kann man bei seinem Auto die hinteren Türen nicht öffnen. Kein Problem, Kerstin klettert über den Kofferaum auf den Rücksitz, danach folgt ihr der Einkauf in den Kofferraum. Natürlich müssen wir auch noch zu einigen Marinebedarfs-Händlern. Lernen wir die auch schon mal kennen. Mit den Einkäufen beladen kommen wir zum Boot. Pierre ist begeistert, das sei ja wirklich ein schönes Schiff, mit so einem ist er bisher noch nie gesegelt! Nein, er ist nicht von Fountaine Pajot, er ist Segellehrer in der Segelschule um die Ecke und macht so was schon mal für die Werft. Na gut, lernen wir das Boot eben gemeinsam kennen. 

Martin überprüft noch mal alles an Bord auf Mängel. Die Firma die für die Übernahme zuständig war, hat es nicht allzu genau genommen. Wir finden rund 20 Mängel. Ein normaler Wert bei neuen Schiffen. Nichts Tragisches, das sollte in wenigen Stunden behoben sein. Martin informiert Fountaine Pajot per Mail. Ans Telefon gehen sie nicht und am Steg ist niemand zu finden. In der Zwischenzeit segeln wir mit Pierre erstmals in einem Tidenrevier mit einigen Metern Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser. Wir sind von der Agilität des Schiffs beim Segeln begeistert und die Umgebung von La Rochelle ist nett. Wir fahren bei Hochwasser in die Stadt La Rochelle. Ein wirklich nettes Städtchen, maritim und gemütlich, die Menschen sieht man hier auch wochentags ab 11 Uhr vormittags mit einem Glas Rosé in der Hand. Leben wie Gott in Frankreich. Zu Essen gibt es hier alles was gut und teuer ist. Aber im Hintergrund tickt die Uhr. Es müssen noch die Schäden behoben werden, die Überstellungsskipper müssen erst noch ankommen und das Wetterfenster über die Biskaya muss einwandfrei sein. Wir hören Horrorgeschichten, laut denen neue Schiffe entmastet und komplett ramponiert nach wenigen Tagen auf See nach La Rochelle zurückkommen. In der Biskaya kann es mit meterhohen Wellen bei Wind gegen Tidenstrom richtig zur Sache gehen. Und dann wäre da noch unser Urlaub, der leider nicht ewig währt. Unsere Arbeitgeber wollen uns in sechs Wochen wiedersehen. Außerdem ist Infinity in Trogir bereits ab Mai für die gesamte Saison ausgebucht. Jede Woche, die wir verlieren kostet also auch noch Geld. Jetzt gehen wir aber erst mal zur Schiffstaufe über. Mittlerweile wissen wir, dass es extra Schiffstaufen-Flaschen gibt, die leicht zerbrechen. Damals nehmen wir die harte Variante, schwingen sie aber nicht in weitem Bogen um den Glasfaserrumpf damit zu zertrümmern sondern taufen erst mal den Anker, an dem das Schiff ja in gewisser Weise dranhängt. Der sollte das aushalten. Patsch, der Fusel läuft runter und wir sind glücklich. Dem Anker, Infinity und Poseidon sieht man derzeit keine besonderen Gemütsregungen an. Vielleicht hätten wir doch einen teureren Champagner nehmen sollen?

Erst bestehen die Überstellungsskipper darauf, nur zu zweit mitzufahren, da sie behaupten, dass die Eigner meist nach der Biskaya mit grünem Gesicht aussteigen und am kürzesten Weg nachhause fliegen. Dann wäre der eine Skipper alleine für den Rest der Überstellung. Martin macht Druck nachdem wir schon mehrmals gehört haben: „Demain“, morgen kommen die Skipper und die Behebung der Mängel passiert ebenfalls „demain“. Nach zwei Tagen fragen sie kleinlaut, ob wir auch mit einem Skipper lossegeln würden. „Ja klar, das wollten wir ja von Anfang an.“ Ein Wetterfenster über die Biskaya tut sich auf. Wer weiß wann das nächste kommt? Erst sind wir noch geduldig, besuchen das maritime Museum und stehen ehrfürchtig in der Kabine der dort befindlichen „Joshua“ von Seglerlegende Moitessier. 

Allmählich kommt im April schon mal die Sonne heraus, die nächtliche Kälte im Boot ist durch die geliehenen Heizlüfter von Pierre erträglich. Jetzt werden wir aber langsam ungeduldig. Nachdem sich niemand von Fountaine Pajot blicken lässt, nimmt Martin die Mängelliste und spaziert direkt in das Büro des Auslieferungsmanagers Er erklärt ihm, dass wir seit Tagen auf die Behebung der Mängel warten. Der Manager fragt, welche Mängel und Martin führt weiter geduldig aus, dass er ihm die Mängelliste bereits mehrmals gemailt habe und er sie auch in der Hand halte. Was glaubt ihr kommt jetzt? Richtig: „Demain“! Diesmal lässt es Martin nicht gelten und besteht darauf, dass er jetzt hier im Büro warten werde, bis er eine Ansprechperson hätte, die mit ihm mitgeht. Erst tut der Manager noch so als würde er an seinem Computer auf dem ansonsten leeren Schreibtisch arbeiten. Martin sieht sich die schönen Segelbilder im Büro an und spaziert herum, setzt sich wieder, spaziert wieder herum, schaut dem Manager lächelnd beim Arbeiten zu. Psychoterror ist nun das Mittel der Wahl. Nach einer halben Stunde greift der Manager genervt zum Telefon, tätigt einige Anrufe und fragt dann, ob wir einen Schraubenzieher an Bord hätten. Selbstverständlich haben wir das, sogar Schlitz und Kreuz. Nun macht sich der Manager höchstpersönlich mit ihm auf den Weg um unsere Mängel zu beheben. Zwei Arbeiter kommen dazu, um im Außenbereich noch ein paar Kleinigkeiten anzukleben, und der ganze Spuk ist ein einer Stunde erledigt. Geht doch. Fünf Tage und eine Stunde und alles ist gut. Vor unserem Boot hat sich in der Zwischenzeit eine Menschenschlange gebildet. Andere Überstellungsskipper bemerkten, dass auf unserem Schiff gearbeitet wird und stellen sich an, um die Mitarbeiter von Fountaine Pajot einmal persönlich zu Gesicht zu bekommen. Auch sie warten darauf, dass die Mängel ihrer Schiffe behoben werden. Zum Teil warten sie schon mehr als zwei Wochen und sind mit der Überstellung in Verzug. Aus „demain“ – morgen wurden „semaines“ – Wochen. 

Jetzt fehlt nur noch unser Überstellungsskipper, der ebenfalls seit einer Woche jeden Tag „demain“ kommt. Das Wetterfenster im Auge, setzt Martin die Frist bis Freitag um 12.00. Wenn dann keiner da ist, fahren wir eben alleine und zahlen keinen Cent. Es ist Freitag 12.15 Uhr. Wir laufen aus. Zu zweit. Damit haben sie nicht gerechnet. Wir auch nicht. Da ist der Respekt vor der Biskaya, die sich im Moment von ihrer netten Seite zeigt, das Wissen, dass am Anfang immer etwas kaputt geht, der mehrtägige Einstieg in die Überstellung mit atlantischen Nachtfahrten und dem Unwissen, wie es uns damit geht. Gleichzeitig spüren wir erstmals so richtig die Freiheit auf dem Meer, tausend verschiedene Blautöne im Wasser, Sonnenauf- und -untergänge. Traumhaft. Aber wie das so ist, wenn es am schönsten ist, bringt einen irgendetwas auf den Boden der Tatsachen zurück. Und das passiert immer mitten in der finstersten Nacht. Martin will unser Rollgroß reffen, es geht aber nicht. Das Segel lässt sich weder rein- noch rausbewegen. Wir können zwar segeln, aber der Wind darf nicht mehr stärker werden, da wir ja nicht reffen können. So beschließen wir auf Nummer sicher zu gehen und den nächsten größeren Hafen an der spanischen Biskayaküste, Gijon, anzufahren. Bei diesem Kurs können wir das Großsegel in der Nacht noch draußen lassen, bei Tageslicht befestigen wir es vorsichtig mit einer Leine rund um den Mast und segeln mit der Genua Richtung Marina. Die Biskaya wäre damit schon mal fast geschafft.

Wir erklären unsere Lage via Funk und es kommt uns ein Boot der Marina entgegen, deren Besatzung uns auch beim Anlegen hilft. Wir machen problemlos fest und erleben zum ersten Mal die Prozedur des Einklarierens in einem anderen Land. Wir sind von einem EU-Staat in den nächsten gereist, daher sollte das ja nicht allzu schwierig sein. Die Zollbeamten sprechen kein Englisch, wir kein spanisch, aber dafür Französisch, sodass Martin sich leidlich mit ihnen verständigen kann. Wir holen die Schiffspapiere heraus. Zur Vervollständigung der Sprachverwirrung steht dort alles auf kroatisch geschrieben, da das Boot im Besitz der kroatischen Tochterfirma Pitters ist und wir nur die Übersteller sind. Die kroatischen Papiere können weder die Zöllner noch wir lesen. Die Zöllner wissen natürlich von den neuen Booten, die ins Mittelmeer überstellt werden und erwirtschaften für ihr Land einen Haufen Geld, wenn sie ein Privatboot ohne bezahlte Mehrwertsteuer ertappen. Irgendwie gelingt es uns, den Spaniern zu beweisen, dass unser Boot nicht mehrwertsteuerpflichtig ist und wir erhalten von ihnen ein unterzeichnetes Formular, das wir nur herzeigen müssen, wenn wir in spanischen Gewässern unterwegs sind. Das ist fein, die Leute supernett und hilfsbereit. 

In der Marina kennen sie jemanden, der die kaputte Schnecke unserer Rollanlage reparieren kann. Das Ersatzteil wird in Barcelona bestellt und nach Gijon geliefert. Wir sind etwas perplex, da die Werft nur wenige hundert Kilometer weit weg ist, da ginge es doch schneller, das Ersatzteil von dort zu bekommen. Geht nicht, Gebietsschutz. Also heißt es für uns warten, allerdings in einem hübschen Städtchen mit Vorliebe für vergorene Äpfel und Birnen. Wo wir schon einmal hier sind und die Sonne scheint, genießen wir die Stadt auch gleich. Wir setzen uns in einen gemütlichen Gastgarten. Vom Nachbartisch weht ein süßlicher Geruch hinüber, die jungen Leute rauchen Marihuana. Am helllichten Tag und mitten auf einem Platz. Jetzt wissen wir auch, warum die Typen im Nachbar-Gastgarten die ganze Zeit so breit grinsen, einem hängt eine halbe Rolle Klopapier hinten aus der Hose heraus. Dazu lernen wir noch eine neue Art, Most oder Apfelwein zu genießen, was uns im wahrsten Sinne des Wortes spanisch vorkommt. Man nehme eine volle Flasche Most, hebe sie mit dem ausgestreckten Arm über den Kopf, jongliere auf Hüfthöhe mit einem schräg gehaltenen Glas, in dem man zirka die Hälfte des ausgeschütteten Getränks einfängt um davon wiederum die Hälfte zu trinken und den Rest auf den Boden zu schütten. Wir müssen dieses Getränk natürlich auch probieren. Besonders gut schmeckt es uns nicht, aber trotzdem würden wir nicht drei Viertel der Flasche auf den Boden leeren. Offenbar bringt diese Art einzuschenken ein Kohlensäure-Feeling in den Most. Die Mentalität der Menschen ist ansteckend, sicher ein Ort in dem es sich gut aushalten lässt. Für uns geht es aber wieder weiter. Die erste Schwachstelle des Schiffs – die Großsegelrollanlage von Z-Spars – ist nun besser als neu und wir machen uns auf den Weg ins spanische Baiona an der spanischen Westküste zum ersten Motorölwechsel, der bei neuen Motoren nach einem sehr kurzen Intervall fällig ist. Mittlerweile ist tagsüber so warm, dass aus unserer Lifesling-Tasche Bienen geschlüpft sind. Leider ist das Meer nicht gerade bienenfreundlich, so versuchen wir sie mit Honig durchzufüttern, was uns leider nicht gelingt. 

Baiona ist wie Gijon ein schönes Plätzchen. Wir fahren in die Marina del Rei, also die königliche Marina. Obwohl wir spät am Freitagnachmittag ankommen, kommt der Volvo-Mechaniker noch an Bord für den Ölwechsel. Die ersten Ölwechsel sollten von einem Profi erledigt werden, damit man die Gewährleistung nicht verliert. Er erklärt, dass er zuhause ein lautes Kleinkind hat und er zwischendurch die Ruhe in der Arbeit genießt, wobei man ihm den stolzen Papa deutlich ansieht. Das Marinagebäude wirkt wie ein englischer Club mit schweren Ledersesseln und einem gemütlichen Kamin. Schaut edel aus, das Personal ist aber völlig ohne Allüren. Die Spanier wachsen uns immer mehr ans Herz. Da wir immer früh zu Abend essen und die meisten spanischen Restaurants erst um neun Uhr abends öffnen, gehen wir in ein Hotel essen. Die Portion ist so riesig, dass wir sie nur langsam verspeisen können. Am Nachbartisch sitzen die örtlichen Polizisten und genießen in Uniform ihr Bier. Wir bummeln durch die Altstadt und treffen die Truppe immer wieder entspannt und mit Bier bewaffnet. Besser als mit Pistolen. 

Ein Lokal ist gesteckt voll. Es gibt iberischen Schinken und Mandelkuchen. Der Küchenchef hinter der Theke schaut ein bisschen aus wie ein Zenturio aus Asterix und Obelix mit Doppelkinn doppelt so breit wie sein Kopf. Trotz seiner enormen Körperfülle richtet er alle Speisen in Rekordgeschwindigkeit her. Die köstlichen Gratistapas zu jedem bestellten Getränk sprengen dann fast unsere Hosenknöpfe und wir beschließen für mindestens eine Woche zu fasten. Ohnehin sind wir jetzt erst einmal wieder unterwegs. 

Die Zeit drängt. Damit fallen Besuche in Portugal leider aus. So machen wir uns auf direktem Wege auf nach Gibraltar. Natürlich ist das Ganze nicht so einfach wie gewünscht. Der Wind weht uns von Achtern nach Süden und wir rauschen nur so dahin. Dann kommen wir zum Cabo de Sāo Vincente, die Südwestecke der iberischen Halbinsel. Die Westseite ist mit St. Nazaire ein Paradies für die wildesten Wellenreiter weltweit, da die Wellen über den gesamten Atlantik Anlauf nehmen und dann innerhalb von 10 Seemeilen Entfernung von 1.000 Meter Wassertiefe an die Küste prallen. Wir segeln natürlich weit davon entfernt, trotzdem kommen die Wellen mächtig von Westen. Gleichzeitig bläst der Wind ordentlich aus dem Osten aus Gibraltar heraus, so dass sich hohe steile brechende See auf unserem Weg Richtung Gibraltar aufbaut. Wir wollen das Großsegel reffen. Aber die gerade reparierte Schnecke will nicht, das Groß lässt sich nicht reffen. Wie wir später in Kroatien feststellen sollten, wurde die Reffleine vom Rigger in Gijon verkehrt in die Schnecke aufgewickelt. Daher gibt es zu viel Reibung und die Reffleine springt in der Schnecke über und blockiert das ganze System. Nachdem wir noch nicht wissen, was man unserem Schifferl alles zumuten kann, lassen uns die weiter anwachsenden Wellen und der stärkere Wind etwas verzweifeln. Keinesfalls wollen wir zwischen den Wellen querschlagen, damit uns keine der geschätzten vier Meter hohen Wellen von der Seite treffen und umwerfen kann. Martin schmeißt beide Motoren an und hält Infinity mit gezielten Rückwärtsstößen auf dem Wellenberg gerade während wir unter nicht gerefftem Groß hart am Wind dahinbrettern. Gut, dass es hell ist und man die Wellen kommen sieht. Was wir als nächstes versuchen wollen, ist in die Abdeckung der portugiesischen Südküste zu kommen, um bei weniger Welle etwas Zeit zu haben, die Reffanlage zu reparieren. Schutzhafen – Fehlanzeige, weil hier nicht vorhanden. Wir kämpfen uns mühsam in die Abdeckung der Klippen der Algarve. Sobald Wind und die Welle etwas nachlassen, fahren wir mit Hilfe des Autopiloten im Kreis und führen erstmals das von uns erfundene „Löffelmanöver“ durch. Wenn das Groß ganz draußen ist, verklemmt sich manchmal das durch die Rollanlage gerundete Vorliek des Großsegels ganz unten in der Mastnut, dann kommt zu viel Zug auf die Reffleine, die noch dazu sehr oft umgelenkt ist was eine große Reibung verursacht. So fädelt Kerstin am Mast das Vorliek mit einem Teelöffel in die Mastnut ein. Als sie wieder am Steuerstand angekommen ist, löst sich der zweimal angeschraubte Umlenkblock mit einem lauten Knall vom Baum und schießt wie ein Geschoss zum Mast vor. Vermutlich wäre Kerstin jetzt schwer verletzt, wäre sie noch dort. Wir schütten Seifenwasser als Schmierung für die Leine in die Schnecke und zerren den Überläufer verkehrt aus der Schnecke heraus. Wir können den Geschoss-Block notdürftig reparieren und die Rollanlage funktioniert wieder. Noch mal gut gegangen, allerdings ist unser Vertrauen in das Z-Spars-Rigg ziemlich gesunken. Das ist genau der Grund, warum viele Segler kein Rollgroß wollen. Die Bedenken sind berechtigt, aber das wäre vermutlich nicht passiert, wenn die Reffleine richtig vom Rigger in die Schnecke eingefädelt worden wäre. Mittlerweile ist der Umlenkblock anstatt durch zwei Schrauben durch vier Nieten befestigt und seitdem die Reffleine richtig einfädelt ist, lieben wir unser Rollgroß. Wir können, ohne dass jemand zum Mast muss, alle Manöver einhand ohne Probleme durchführen. Von anderen Seglerpaaren wissen wir, dass sie oft auch auf längeren Passagen das klassische Lattengroß aus Respekt vor den Problemen bei zunehmendem Wind gar nicht mehr setzen und mit der Genua alleine fahren. Diese Probleme haben wir mit dem Rollgroß nicht und segeln damit ausgewogener. 

Jetzt haben wir einige Zeit verloren und der Wind nimmt weiter zu. Fahren wir direkt durch Gibraltar, haben wir Wind in Sturmstärke vor der Einfahrt ins Mittelmeer, auch kommen wir zum falschen Zeitpunkt an, weil die starke Strömung aus Gibraltar herausfließt. Also beschließen wir, eine Verschnaufpause einzulegen und den Hafen Barbate gegen den Wind anzulaufen. Infinity beschwert sich erstmals über die rohe Behandlung. Wenn man in der Kabine liegt kommt man sich vor wie in einem Horrorfilm. Alles quietscht, knarzt und kracht. Mit jedem Eintauchen in die Welle vibriert der Mast wie ein Dartpfeil nach dem Wurf, sodass Martin am liebsten mit der Eisensäge im Arm schlafen würde, um bei Mastbruch die Wanten durchtrennen zu können. Hier erfahren wir eindrucksvoll, dass ein Schiff bei weitem mehr aushält als die Crew ihm zutrauen würde. Unser Vertrauen ins Boot muss eindeutig noch wachsen. Mit müssen beide Motoren verwenden, um vom Fleck zu kommen. Bei der Geschwindigkeit müssen wir einen Kompromiss zwischen ausreichend Fahrt und nicht zu starkem Einsetzen in die Wellen finden. Als wir endlich die ersten Lichter von Barbate im Dunkel der Nacht auftauchen sehen, sind wir deutlich erleichtert. Jetzt die nächste Herausforderung. Der Leuchtturm ist nicht auszumachen, die Leuchtfeuer der Hafeneinfahrt sind ganz anders als auf der Seekarte angeordnet. Heutzutage vertrauen wir dem GPS. In Zeiten vor dieser technischen Entwicklung hätten wir wahrscheinlich bis zum Morgenlicht hin und her kreuzen müssen. Woran die Lichterverwirrung liegt, erkennen wir beim Näherkommen. Ein Frachter liegt quer ohne eingeschaltetem AIS vor der Hafeneinfahrt, sodass wir erst einmal darum herumfahren müssen. Dahinter tauchen dann auch die Lichter auf, so wie sie sein sollten. Nachts alleine in eine Marina fahren ist für uns eine Premiere. Irgendwie schaffen wir es und das Boot hängt erstmal. 

Der Wind hat noch einmal zugelegt und wir sind froh, im sicheren Hafen zu liegen. Neben uns liegt ein Schiff von der spanischen Seenotrettung und muss ständig ausrücken. Das hat Martins Vater auf den Plan gerufen. Er folgt uns auf Marine Traffic und hat irrtümlicher Weise anstelle unseres Bootes den Track des Rettungsbootes verfolgt und sich gefragt, warum wir um alles in der Welt in der Nacht zwischen Spanien und Marokko herumfahren. Wir sind froh und ein wenig stolz, nicht selbst zum Seenotfall geworden zu sein und beschließen erst einmal, in Barbate zwei Tage Urlaub von der Überstellung zu nehmen. 

Barbate ist ein nettes Örtchen, das in erster Linie von spanischen Touristen besucht wird. Die anderen bevorzugen das wärmere und ruhigere Mittelmeer. Wir können wieder frischen Proviant aufnehmen. Den niedrigen Leuchtturm finden wir zwischen zwei stark beleuchteten Gebäuden. Beinahe unmöglich, dessen Licht in der Nacht vom Meer aus auszumachen. In einer Nebenstraße entdecken wir eine Pizzeria, beschließen dort später zu essen. Unsere Einkäufe dürfen wir solange bei dort lassen. Dann beginnt die Suche nach einem Ersatzkeilriemen für die Volvo-Motoren, die in Kroatien vorgeschrieben sind. Der hiesige Händler wirkt eher wie ein Altwarenhändler. Er sucht ein paar aus einer Kiste heraus, aber leider passt keiner. Ein älterer Herr aus einem kleinen Krämerladen unterstützt uns bei der Suche. Mit Händen, Füßen und Google-Übersetzer ergattern wir bei ihm Siebe für die Küchenabflüsse. Immerhin. Hungrig gehen wir in die Pizzeria und verspüren Lust auf Thunfisch. Der Besitzer erklärt uns voller Stolz, dass er einmal zum besten Thunfischlokal gekürt wurde und zeigt die dazugehörige Urkunde. Damit entscheiden wir uns für frischen Thunfisch, ganz ohne Pizza, und essen eines der besten Thunfischsteaks bisher. Dabei erzählt der Wirt in langsamem Spanisch, dass es hier weltweit eines der größten Vorkommen von Blauflossenthunfischen gibt, die speziell in Asien sehr begehrt sind. Daher gibt es hier eine riesige Fischfangflotte, insbesondere auch japanische Schiffe. 

Als sich das nächste Wetterfenster öffnet, machen wir uns ausgeruht auf den Weg nach Gibraltar. Die Wellen haben sich noch nicht beruhigt. Wir sind davon ausgegangen, dass das Beiboot mit Motor, welches an den Heckdavits hängt auch ohne Zusatzmaßnahmen dortbleibt, weil von Werft aus so installiert. Auch hier werden wir eines Besseren belehrt. Während Martins Wache scheuert eine der beiden Davitleinen durch und das Dinghi wird an einer Leine kopfüber hinterher gezogen. Ein Schrei und Kerstin ist an Deck. Mit vereinten Kräften schaffen wir es, das Dinghi in den hohen Wellen umzudrehen, den Motor abzumontieren, das Dinghi provisorisch wieder aufzuhängen, den Motor auf der backbordseitigen Plattform am Heck festzuzurren und mit Süßwasser und anschließend WD 40 zu spülen. Im Nachhinein können wir nicht sagen, wie lange das ganze gedauert hat. Die blauen Flecken und Prellungen bleiben uns allerdings für eine ganze Weile. 

Jetzt sind wir schon wieder hinter unserem Zeitplan unterwegs. Damit müssen wir uns sputen, rechtzeitig durch die Straße von Gibraltar zu segeln. Auf dem Plotter sehen wir viele Frachter, Tanker und auch Fischer. Hier gibt es ein Verkehrstrennungsgebiet. Daher müssen wir ganz am Rand durchfahren, um die Großschifffahrt nicht zu behindern. Ein Chinesischer Frachter sieht das alles sehr locker und fährt quer über das Verkehrstrennungsgebiet, reagiert nicht auf Funk, woraufhin alle ausweichen müssen, auch wir. Die Aufregung über Funk ist groß, die Wellen sind es auch. Wieder brauchen wir beide Motoren und sehen uns ständig um, da alles etwas chaotisch wirkt. Kaum sind wir durch die Meerenge von Gibraltar und von einer Minute auf die andere ist der Wind weg und das Meer spiegelglatt.

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